Im Vorwort zu seinem
bemerkenswerten Buch „Endloses Bewusstsein. Neue medizinische Fakten zur
Nahtoderfahrung“ schreibt der niederländische Kardiologe Pim van Lommel:
„Eine
Nahtoderfahrung ist einerseits eine existenzielle Krise, andererseits eine
eindringliche Lektion des Lebens. Die Veränderungen, die eine Nahtoderfahrung
bei vielen Menschen bewirkt, entstehen aus der bewussten Erfahrung einer
Dimension, in der Zeit und Distanz nicht von Bedeutung sind, in der man in die
Vergangenheit und Zukunft sehen kann, in der man sich eins mit sich fühlt,
unendliches Wissen erlangt und bedingungslose Liebe erfährt. Diese
Lebensveränderungen beruhen vor allem auf der Erkenntnis, dass Liebe und
Achtsamkeit sich selbst, anderen und der Natur gegenüber zu den wichtigen
Grundlagen des Lebens zählen.
Nach einer Nahtoderfahrung
ist man sich bewusst, dass jeder und alles miteinander verbunden ist,
dass jeder Gedanke Einfluss auf das eigene Ich und ebenso auf andere hat und
dass unser Bewusstsein nach dem körperlichen Tod weiter existiert. Man erkennt,
dass der Tod nicht das Ende ist.“[1]
Dass Menschen sich nach einem
tief gehenden Nahtodeserlebnis tatsächlich verändern, hin zu einem größeren
Mitgefühl und zu einem größeren Wissensdrang, ist eine erstaunliche, aber viel bestätigte
Tatsache. Und bereits Gespräche mit Menschen, welche ein Nahtodeserlebnis
hatten, konnten die Interviewer in ihrem Herzen bewegen und auch bei ihnen eine
stärkere spirituelle Ausprägung und ein Erkennen der eigenen Verantwortlichkeit
bewirken.
Pim van Lommel war immer
wieder beeindruckt von der Wahrhaftigkeit solcher Berichte und dem Suchen nach
geeigneten Worten für ein eigentlich unbeschreibbares Erlebnis. Menschen mit
Nahtoderfahrungen waren nach seiner Aussage seine größten Lehrmeister. Die
zahlreichen Gespräche, die er mit ihnen führte, und seine ernsthafte Auseinandersetzung
mit der möglichen Bedeutung von Nahtoderfahrungen haben seine Sicht auf den
Sinn des Lebens und des Todes sehr verändert: „Jeder kann aus den
Erkenntnissen, die eine Nahtoderfahrung vermittelt, eine Menge lernen. Man muss
nicht selbst eine Nahtoderfahrung erleben, um neue Einsichten über das Leben
und den Tod zu gewinnen.“[2]
Einer seiner Patienten hatte
folgendes erlebt:
„Im
gleichen Augenblick durchdrang mich mit einem Schlag eine ungeheure Erkenntnis
ein umfassendes Wissen und Verstehen. Alles Wissen. Universales Wissen. Ich
verstand, wie das Weltall entstanden war, woraus das Universum bestand, ich
verstand das Handeln der Menschen. Ihr positives Handeln, aber auch ihre
Gründe, sich manchmal mutwillig Leid zuzufügen. Krieg und Naturkatastrophen, alles
hatte seinen Sinn, seinen Grund. Es ist logisch. Ich begriff die Vergangenheit,
die Gegenwart und die Zukunft. Ich sah die Evolution. Alles und jedes
entfaltet und entwickelt sich gemeinsam. Ich sah und verstand – ohne zu
urteilen – den Zusammenhang, die Kohärenz, die logische und manchmal
weitreichende Konsequenz, die jede noch so kleine Handlung hat. Und zwar auf
jeder Ebene und bis ins kleinste Detail … Die Funktionen aller möglichen
mechanischen, elektrischen und elektronischen Geräte, Apparate und Motoren.
Alles. Ich kannte und verstand die gesamte Mathematik, die Elektronik, die
Physik, die DNA, die Atome, die Quantenmechanik und Quantenphysik. Ich erkannte
auch, worauf alle Evolution hinausläuft, worin letzten Endes ihr Ziel liegt.
Mir wurde bewusst, dass nicht nur ich Teil dieser großen Einheit bin, sondern
alles und jeder, jeder Mensch, jedes beseelte Wesen, jedes Tier, jede Zelle,
die Erde und jeder andere Planet, das Universum, der Kosmos, das Licht. Alles
ist miteinander verbunden, alles ist untrennbar. 'Ich weiß es!', dachte ich
froh. 'Ich verstehe es. Es ist alles so einfach. So logisch. So naheliegend … '
Nein, dieses Wissen selbst durfte ich nicht mit hinüberbringen. Warum weiß ich
nicht … Vielleicht liegt der Sinn nicht darin, dass wir hier und jetzt als
physische Wesen über derlei universelles Wissen verfügen? Weil wir hier sind,
um zu lernen? Oder aus einem anderen Grund?“[3]
Es gibt derartige Erfahrungen
auch bei gesunden Menschen, aus einem Einfühlungsvermögen heraus, zum Beispiel
durch starke Emotionen, die jemand empfindet, wenn ein geliebter Mensch stirbt.
Dann kann man in die Erfahrung des sterbenden Menschen in einem bestimmten Maße
mit einbezogen werden:
„Anne
und ich hatten eine Beziehung, und dann starb sie plötzlich an den Folgen eines
schweren Verkehrsunfalls. Ihr Sohn, der gerade sieben Jahre alt geworden war,
erlitt eine dramatische Kopfverletzung. Sein Gehirn quoll fast aus seinem
Schädel, der aussah wie eine kaputte Wassermelone. Er brauchte fünf Tage für
seinen Übergang. Er war das älteste von neun Enkelkindern in seiner Familie.
Ungefähr sechzig Angehörige hatten sich um sein Krankenhausbett versammelt, und
ich war nur der Freund seiner Mutter, der irgendwo hinten am Fenster stand. In
dem Moment, als er starb, als sein EEG zu einer geraden Linie wurde, 'sah' ich
seine Mutter, die kam, um ihn abzuholen. Dabei muss man sich ganz klar vor
Augen halten, dass sie schon fünf Tage zuvor gestorben war. Und dann kam es zu
dieser unglaublich schönen Wiederbegegnung. Irgendwann reichte sie mir die Hand
und bezog mich in ihre Umarmung mit ein. Es war unbeschreiblich und ekstatisch.
Und ein Teil von mir verließ meinen Körper und begleitete sie zum Licht. Ich
weiß, dass das sehr seltsam klingt. Aber in diesem Moment, in dem ich Anne und
ihren Sohn auf ihrem Weg zum Licht begleitete, war ich vollkommen bei
Bewusstsein und zugleich war ich auch ganz bewusst in dem Raum, in dem die
ganze Familie entsetzlich traurig darüber war, dass ihr kleiner Neffe und
Enkelsohn gerade gestorben war. Ich begleitete die beiden. Gemeinsam gingen wir
auf das Licht zu, doch irgendwann wusste ich, dass ich zurückkehren musste. Ich
fiel einfach in meinen Körper zurück. Es war eine derart überwältigende
Erfahrung, ich glühte förmlich vor Glück und bemerkte plötzlich, dass ich mit
einem strahlenden Lächeln in diesem Raum zwischen all diesem Menschen stand,
die gerade ein geliebtes Kind verloren hatten. Um zwischen all den trauernden
und weinenden Menschen nicht pietätlos zu wirken, bedeckte ich hastig mein
Gesicht mit den Händen. Ich habe über diese Erfahrung geschwiegen. Damals
schien es mir völlig unangebracht, darüber zu reden, und es war mir auch nicht
möglich, weil mir für das, was passiert war, die Worte fehlten. Bis zu diesem
Augenblick dachte ich immer, ich wüsste, wie es in der Welt zugeht. Aber mein
Weltbild hat sich mit einem Mal radikal gewandelt.“[4]
Hilfe im Umgang mit dem Tod
können auch Berichte über das Sterben von Angehörigen bieten.
Bernhard Jacoby berichtet vom
Brief einer Frau, die ihre demente Mutter zu Hause mit der Hilfe eines
Pflegedienstes betreut hatte, bis diese mit 88 Jahren starb. Als die Mutter
bettlägerig wurde, stellte sie fest,
„dass
sie des Öfteren mit großen Augen im Bett lag, nach oben blickte und dort etwas
sah, was ich nicht sehen konnte. Manches Mal versuchte sie auch, es mir zu
zeigen. Da durch die Demenz zunehmend auch der konkrete logische Satzbau
verloren geht, habe ich nur so viel verstanden, dass es sich um schöne helle
Farben und Licht und auch um Menschen, die vor langer Zeit gestorben waren,
ihre Mutter, Vater und Schwester, handeln musste ...
... Wir beteten mit ihr … ich habe meiner Mutter gesagt, dass
sie noch diesen kleinen Schritt ins Licht gehen soll, dass dort die Menschen
auf sie warten, die sie geliebt hat; dass sie dort glücklich und ohne Schmerzen
sein wird, dass sie ihre Aufgabe auf Erden gut gemacht hat und dass ich ihr für
ihre Liebe und alle guten menschlichen Eigenschaften, die sie mich gelehrt hat,
danke. Sie bekam daraufhin wunderbar blaue Augen, wie ein Kind, das gerade
geboren ist ...
Noch einige Zeit nach dem Tod
lag im Zimmer ein eigenartiger Glanz.“[5]
Bernhard Jacoby schreibt
auch, dass sehr viele Seelen nach ihrem Tod die Angehörigen um Vergebung
bitten. Sie können sich nicht weiter entwickeln und bleiben so lange
erdgebunden, bis ihnen verziehen wird. „Was immer ein Verstorbener Ihnen auch
angetan haben mag, vergeben Sie ihm! Das ist auch für Ihren eigenen
Seelenfrieden außerordentlich wichtig!“[6]
Die Rituale der verschiedenen
Religionen sind hier sehr hilfreich. Aber auch nichtchristlichen Menschen
schlägt Jacoby in etwa folgenden Text als ein formloses Gebet vor:
„…, du bist gestorben.
Orientiere dich am Licht.
Ich vergebe dir alle deine
Fehler
und lasse dich los.
Hilfreiche Wesen mögen sich
deiner annehmen
und
dich ins Licht geleiten.“[7]
In der Literatur werden wir
bei aufmerksamem Lesen auf tiefes Wissen stoßen, wie etwa in der
„Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens.
Victor Hugo beschreibt in
seinem Buch „Die Elenden“ eine lichterfüllte Sterbeszene. Nach einem sehr
schweren Leben stirbt die Hauptperson Jean Valjean mit den Worten: „Liebet euch
immer. Es gibt sonst nicht viel auf der Welt, als einander zu lieben … Ich sehe
ein Licht … Ich sterbe glücklich.“
In Erhard Bäzners Buch „Wo
sind unsere Toten? Sehen wir sie wieder?“[8] finden wir
sehr tröstlich die von ihm hellsichtig beobachteten Zustände nach dem
physischen Tod.
Beobachtungen direkt beim Tod
eines uns verbundenen Menschen oder kurz danach kommen auch bei nicht hellsichtigen
Menschen gelegentlich vor. Hier die Beobachtung eines Arztes beim Tod seiner
Tante:
„Zuerst
wurde ich aufmerksam auf etwas unmittelbar über dem physischen Körper, das etwa
60 cm hoch über dem Krankenbett schwebte … Dann bildeten sich zu meinem Erstaunen
feste Umrisse, und die nebelartige Substanz nahm langsam menschliche Gestalt
an. Bald ähnelte der Körper dem physischen Körper meiner Tante; der
Astralkörper schwebte horizontal über seinem physischen Gegenstück … Deutlich
könnte ich ihre Gesichtszüge erkennen. Sie ähnelten weitgehend dem körperlichen
Gesicht, aber mit dem Unterschied, dass jetzt ein Ausdruck von Frieden und
lebendiger Kraft erstrahlte, wo vorher nur Alter und Schmerz waren. Die Augen
waren geschlossen, wie in tiefem Schlaf, und vom Geistkörper schien ein
intensives Leuchten auszugehen. Beim Betrachten des Geistkörpers fiel mein
Blick auf eine silbrige Substanz, die vom Kopf des physischen Körpers zum Kopf
des Geistkörpers strömte. Dann erkannte ich die Verbindungsschnur zwischen beiden
Körpern. Dabei ging mir der Gedanke 'Die Silberschnur' nicht aus dem Kopf.
Jetzt wusste ich zum ersten Mal, was damit gemeint war … Die Schnur schien
voller Leben zu sein, voll vibrierender Energie. Ich konnte das Fließen des
pulsierenden Lichtstroms in der Schnur vom physischen Körper zum Geistkörper
verfolgen. Mit jedem 'Pulsschlag' nahm der unstoffliche Körper an Leben und
Dichte zu, während der physische Körper ruhiger und immer lebloser wirkte.
Inzwischen war die Gestalt des Geistkörpers ganz deutlich geworden. Alles Leben
war in den Astralkörper übergegangen; das Pulsieren der Schnur hatte aufgehört.
Ich beobachtete die fächerartig verteilten Verbindungselemente der Schnur an
der Schädelbasis. Jedes einzelne Element riss; die endgültige Trennung stand
unmittelbar bevor. Es vollzog sich ein Zwillingsvorgang von Tod und
Wiedergeburt. Das letzte Verbindungselement der Silberschnur löste sich, und
der Geistkörper war frei.“
Dann kam der dramatische
Augenblick, als der leuchtende Körper sich aus seiner Ruhestellung erhob. „Die
geschlossenen Augen öffneten sich und ein Lächeln breitete sich über die
strahlenden Züge. Sie lächelten mir ein Lebewohl zu, dann verschwand diese Frau
aus meiner Sicht.“[9]
Isaac Bashevis Singer
beschreibt in seinem Roman „Shosha“ die mystische Erfahrung eines
allumfassenden Einsseins, die vor Jahren sein ganzes Sein durchdrang: „Ich war
in die Ewigkeit eingegangen. Manchmal glaube ich, es war wie der Übergang vom
Leben in den Zustand, den wir Tod nennen. Vielleicht erfahren wir diesen
Zustand im letzten Moment oder gleich danach. Ich sage das, weil die Toten, die
ich im Leben gesehen habe, wie viele es auch waren, alle denselben
Gesichtsausdruck hatten: 'Aha, so ist das also! Hätte ich das gewusst! Welch
ein Jammer, dass ich es den anderen nicht erzählen kann.'“[10]
(Dieser Artikel wurde, geringfügig gekürzt, aus der Zeitschrift "Theosophie heute" 3/2016 entnommen.)
[1] Pim van Lommel, Endloses Bewusstsein,
Patmos Verlag, Düsseldorf 2009, S. 24, Hervorhebungen durch die Autorin
[3] Ders. S. 62, Hervorhebungen durch die
Autorin
[5] Bernhard Jacoby, Alles wird gefügt,
LangenMüller, 2005, S 30
[8] Neu herausgegeben unter dem Titel: Erhard
Bäzner „Das Rätsel des Lebens und das Geheimnis des Todes“, Aquamarin Verlag,
München, 2005
[9] Sylvia Cranston, HPB, Adyar 1993, S. 630f.
[10] Zitiert in Cranston, HPB, S. 631