Alle Dinge tragen zu allen Dingen bei

Dr. G. v. Purucker

Es ist die Lehre der Esoterischen Philosophie, dass jedes Glied des Son­nensystems eine lebende Wesenheit, ein verkörperter Gott ist. So ist es mit der Sonne, mit jedem Planeten und jedem Kometen. Ferner ist das Sonnen­system als Ganzes eine Wesenheit, ebenso wie unser menschlicher Körper als Ganzes eine Wesenheit ist, eine Einheit, eine lebende Wesenheit mit Be­wusstsein ihrer eigenen Art.

Sehen wir, was das bedeutet? Wie unserem Körper, selbst eine organische Wesenheit, von den verschiedenen Organen, dem Herzen, dem Gehirn, den Nieren, der Leber, dem Magen und so fort im Leben geholfen wird, wird das Sonnensystem, selbst eine organische Wesenheit, im Leben von allen orga­nischen Einheiten in seinem Innern unterstützt: Der Sonne, den Planeten, Kometen und so fort. Sie alle arbeiten zusammen, um ein größeres Wesen zu erzeugen, das solare Reich mit der Sonne als seinem König oder Haupt.

Welche Schlussfolgerung müssen wir daraus ziehen? Da alle diese Einhei­ten zu einem guten Ende zusammenarbeiten müssen, kann in dem Sonnensy­stem nichts richtig getan werden, wenn ein einziger Körper die Zusammen­arbeit und gemeinsame Anstrengung verweigert. „Gemeinsam" heißt hier nicht, dass sich zwei oder drei Organe zusammentun, um zwei oder drei andere Organe zu bekämpfen. Dies bedeutet, dass alle organischen Einheiten mit keiner einzigen Ausnahme für das allgemeine Wohl zusammenarbeiten. Wenn es diese Zusammenarbeit nicht gibt, wenn zum Beispiel ein einziges Organ stirbt, stirbt der ganze Organismus, denn die Harmonie und Symmetrie der größeren Einheit ist unterbrochen, beseitigt, hat aufgehört zu bestehen. Das gleiche ist es mit dem menschlichen Körper. Nehmen wir an, mein Herz hört auf zu arbeiten, stirbt - dann stirbt auch mein Körper ... Wir benötigen alle diese verschiedenen Organe zu einem vollständigen und richtig funktionierenden Körper. Ebenso ist es mit dem Sonnensystem.

Wenn wir also sagen, dass alle Teile zusammenarbeiten, um alle Teile zu erzeugen, können wir uns damit auf alles auf dieser Erde beziehen. Aber es bedeutet ebenso, dass diese Erde ihrerseits mit jedem anderen Himmelskör­per im Sonnensystem zusammenarbeitet, um die angemessenen Wirkungen auf jedem anderen Planeten und der Sonne hervorzurufen. Was ist zum Beispiel mit dem Regen und den anderen meteorologischen Phänomenen dieser Erde? Was ist mit Stürmen aller Art: Schneestürmen, Hagelschlag, Wolkenbrüchen, Gewitterstürmen? Sollen wir sagen, dass nur eine Ursache im Sonnensystem sie bewirkt, entweder die Sonnenflecken oder die Planeten oder vielleicht ein Planet, wie manche Astrologen fälschlich sagen? Nein. Alle Dinge arbeiten zusammen, um überall alle Dinge hervorzurufen.

Wollen wir also die Frage beantworten, ob die Sonnenflecken die Ursache der meteorologischen Phänomene auf dieser Erde sind, muss die Antwort „nein" sein, weil das sonst alle anderen dazu beitragenden Ursa­chen und Verursacher ausschließen würde. Die Sonnenflecken spielen ihre eigene Rolle, wie es jeder Planet tut. Doch was ist der wichtigste Faktor, die größte Ursache bei der Erzeugung dieser Dinge auf unserer Erde? Es ist die Erde selbst. Doch die Erde selbst könnte sie nicht erzeugen, wenn sie nicht die Hilfe aller anderen mitwirkenden und zustimmenden Götter hätte, wie die Griechen und Römer es ausdrückten, mit anderen Worten: Der Sonne, der Planeten und der Kometen.

Woher kommt Hitze? Woher Regen und Kälte auf dieser Erde? Durch Magnetismus und Elektrizität natürlich. Doch diese sind Kräfte. Was verur­sacht grundsätzlich diese Dinge? Die Vitalität der Erde in Zusammenarbeit mit der Vitalität, die sie von anderen Planeten, von der Sonne und den Kome­ten empfängt. Alle Dinge arbeiten zusammen, um alle Dinge zu machen. Das ist ein Schlüssel, ein Meisterschlüssel.

Die mechanische Ursache, die augenblickliche Ursache, das heißt die Ursache, die der Wirkung direkt vorausging - nicht die erste Ursache -, ist die Ausdehnung und Zusammenziehung der Erdatmosphäre. Die Erdatmo­sphäre ist eines der wunderbarsten Organe unserer Mutter Erde. Sehen wir die Erde als ein lebendes Wesen an, oder wie die Lateiner sagen würden, als ein animal (von dem lateinischen Wort „anima" [seelisches] Leben). „Ani-mal" bedeutet im Lateinischen zum Beispiel ein lebendes Wesen, Mensch oder Tier. Selbst eine Pflanze ist in diesem Sinne, jedoch nur sehr schwach, ein „animal", denn „anima" bedeutet mehr im besonderen das, was in der Theosophie die Tierseele genannt wird, das Nephesh der Kabbâlâ.

Die Erde ist ständig mit Lebenskraft übersättigt. Es gibt Zeiten, in denen sie fast zerspringt, und die innere Kraft muss einen Ausweg finden: Sie muss sich entladen, denn der Druck des ganzen Sonnensystems steht dahinter. Als Beispiel mag ein Erdbeben dienen. Die Gedanken daran lassen mich schau­dern. Sie lassen mein Blut erstarren, weil ich immer an den Schaden denke, der Menschen zugefügt wird, und an das Elend, das sie verursachen. Und doch sind sie eine der größten Wohltaten, denn die Erde macht Energien frei, die sonst vernichtend explosiv werden könnten. Unsere Erde würde einfach zerbersten, ... wenn diese periodischen Entladungen nicht wären. Sie gleichen der Vitalität, die ein Mensch beim Gehen, Sprechen, Bewegen oder bei der Blutzirkulation ständig abgibt. Jedesmal, wenn er einen Finger hebt, gibt er Energie ab. Was würde geschehen, wenn alle Energien, die der Kör­per erzeugt, durch Magie festgehalten würden und im Körper blieben? Der Körper würde explodieren, einfach in die Luft gehen; die Muskeln würden einzeln zerrissen.

Natürlich gibt es auch die Kehrseite: Ist die Verausgabung an Energie zu groß, tritt das andere Extrem, Krankheit und Tod ein. Doch warum tut der menschliche Körper das? Er tut in seinem kleinen Bereich auf seine eigene Weise das, was die Planeten tun, wenn sie ihren Teil zu der Vitalität der Erde beitragen. Diese Vitalität kommt von außen in den menschlichen Körper, und von dem, was im Austausch der Lebensatome zwischen allen ein -und ausfließt. Alle Dinge tragen zu allen anderen Dingen bei; sie nehmen und geben ständig.

Das menschliche Gemüt ist in der Imagination so unbewandert, dass ich es für nötig halte, diese Fußnote anzuschließen, damit die Worte in dem obigen Text nicht als eine Art indirekter Ermunterung für die Ver­schwendung menschlicher Lebenskräfte durch Unmoralität oder Ähnli­ches gedankenlos missverstanden werden.

Ein solches Missverstehen würde jeder Lehre der Theosophie und der Esoterischen Philosophie völlig entgegengesetzt sein. Ich habe mich bei nicht wenigen Gelegenheiten gefragt, wie weit ich gehen kann, um einfa­che okkulte Tatsachen zu erklären, wenn, wie die Erfahrung gezeigt hat, ein, zwei oder mehr Zuhörer den Sinn oder die Bedeutung dessen, was ich zu sagen versuche, falsch auffassen.

Ich erkläre hier ohne Einschränkung, dass jede Verschwendung der Lebenskräfte des menschlichen Körpers oder Gemütes in Unmoralität oder auf andere Weise sofort das Herannahen von Krankheit und Alter beschleunigt, weil es den Körper schwächt und unnatürlich ist. Die Ver­schwendung der Vitalität würde eine absichtliche Vergeudung der Le­benskräfte und damit eine Zusammenarbeit mit den Zerstörern bedeuten. Die Vergeudung der Lebenskräfte würde nicht nur Krankheit und vorzei­tige Altersschwäche herbeiführen, schlimmer noch wäre ihre Wirkung auf die moralische Widerstandskraft und den ethischen Instinkt des menschlichen Gemütes. Im extremen Fall würde sie mit moralischem und intellektuellem Verfall enden.

Es sei festgehalten, dass Selbstbeherrschung, strenge moralische Führung und Selbstlosigkeit der Pfad der esoterischen Philosophie ist, und dies wird ohne Einschränkung erklärt. Jeder Missbrauch der Le­benskraft in irgendeiner Form, selbst Überessen oder Völlerei, Trunken­heit oder etwas in der Richtung großer Strapazen oder Überanstrengung ist eine Vergeudung von Lebenskraft und hat deshalb die Tendenz, Krank­heit und frühe Alterung zu bringen, und, wie oben angedeutet, in seinem Gefolge auch schlimmere Dinge.

Können wir uns vorstellen, dass im Alter mehr Vitalität im Körper ist als in der Jugend? Alter bedeutet nicht den Verlust der Vitalität, es ist zuviel Vi­talität vorhanden. Der Körper kann nicht schnell genug aufbauen. Das ange­spannte Leben des erwachsenen Menschen zerstört den Körper langsam und verursacht seine Alterung. Der Pulsschlag des Lebens ist schneller als die Aufbaukräfte. Folglich bekommen wir graue Haare, schwächer werdende Augen und Ohren und all die Erscheinungen des Alters. Gesundheit ist Gleichgewicht. Je länger wir uns gesund erhalten, desto länger leben wir. Zum Teil besteht die Ansicht, ein langes Leben sei ein Zeichen von Heilig­keit. Sehr oft ist dies nicht der Fall, und manchmal sind die gröbsten Leute die langlebigsten. Ein altes lateinisches Sprichwort sagt: „Die Götter lieben die, die jung sterben". Das bedeutet, die Götter nehmen diejenigen, die sie lieben, zu sich, wenn sie jung sind - nicht wenn die Götter jung sind, son­dern wenn die, die sie zu sich nehmen, jung sind. Die Götter sind immer­während jung.

Ich möchte noch einmal auf die Erdatmosphäre zurückkommen, die sich kontinuierlich ausdehnt oder ausweitet.
[...]
Was verursacht diese Zusammenziehung und Ausdehnung der Erdat­mosphäre? Hauptsächlich das periodische, vitale Pulsieren der Erde selbst. Aber diese Pulsschläge sind in jedem Augenblick ohne eine sekundenlange Unterbrechung mit allen anderen Himmelskörpern des Sonnensystems eng verbunden. Alle Dinge tragen zu allen Dingen bei. Die Sonne und alle Plane­ten sind mit den Ausdehnungen und Zusammenziehungen der Erdatmo­sphäre verbunden. So weit haben die Astrologen vollkommen recht. Doch es ist falsch zu sagen, dass die Planeten diese Dinge bewirken, dass sie die einzige Ursache sind: Die Sonne und die Planeten geben mir Gesundheit, sie geben mir auch Krankheit. Aber ich selbst gebe mir auch sowohl Gesundheit als auch Krankheit. Alle Dinge tragen zu allen Dingen bei. Das ist der Mei­sterschlüssel.
[...]
Alle anderen Planeten, mit Ausnahme des Mars, sind gleichfalls jeder mit seiner eigenen Atmosphäre umgeben. (Nach heutigen Erkenntnissen hat der Mars eine sehr dünne, der Merkur praktisch keine Atmosphäre, die Red.) Der Wissenschaft ist dies bekannt, und sie nennt sie die „Wolken" der verschiedenen Planeten. Der Mars unterscheidet sich von den anderen Plane­ten, weil er zur Zeit in Obskuration (Verdunkelung, die Red.) ist. Auf Globus D der Marskette haben die Anziehungskräfte, die die Atmosphäre zusam­menhalten könnten, nachgelassen.
[...]
Das Sonnensystem ist ein lebendes Wesen, in dem die Sonne sowohl das Gehirn als auch das Herz ist, daran sollten wir uns ... erinnern. Die ver­schiedenen Planeten sind die Organe dieser organischen Wesenheit, unsere Erde ist eines davon. Sie alle arbeiten zusammen, um das Sonnensystem als Organismus oder eine Gruppe von Organen zu bilden ... Von dem Wögen eines Farnwedels im Wind bis zu dem schrecklichsten Erdbeben, das die Welt je gesehen hat, geschieht auf dieser Erde nichts ohne die zusammen­arbeitende kosmische Vermittlung. Alles wird hauptsächlich von der Erde hervorgebracht, jedoch unter der Mitwirkung der Sonne und des Mondes, der Planeten und Kometen, denn diese organische Wesenheit bewegt sich in synchronem Rhythmus des Schicksals ... Die Geburt jedes Kindes ist ein Werk des Sonnensystems, der Erde und besonders der Mutter, aber alle Din­ge tragen dazu bei, das Kind zu erzeugen. Die Sterne üben ganz unzweifel­haft ihre Wirkung auf uns aus, ebenso die Sonne, die Planeten und Kometen, denn das Sonnensystem ist ein organisches Wesen. Deshalb wird alles in ihm von allem in ihm überall beeinflusst. Das ist sicherlich ein wahres und wundervolles Bild.
G. v. Purucker: Studien zur Esoterischen Philosophie Bd. 1
Mit frdl. Genehmigung des Verlags Esoterische Philosophie GmbH, Hannover
 


Autor: Dr. G. v. Purucker