Der Mensch als MikrokosmosShirley Nicholson Eines des hervorstechendsten Kennzeichen des Lebens in diesem Zeital­ter ist die Entfremdung von der Natur, ein Gefühl, abgeschnitten und isoliert zu sein. Wenn wir Stadtbewohner sind, haben wir nur selten Gelegenheit, uns mit dem Glühen eines Sonnenuntergangs zu verschmelzen, uns in der Unendlichkeit des Nachthimmels zu verlieren oder uns auf die fehlerlose Geo­metrie einer wild wachsenden Blume zu konzentrieren. Den größten Teil un­serer Zeit verbringen wir eingeschlossen in Gebäuden und Fahrzeugen, aus denen wir nur durch Fenster auf die Natur „draußen" hinausschauen können.   Aber wir sind ein wesentlicher Teil dieser Natur, wir sind ebenso ihr Kind wie ein Baum oder ein Wasserfall. Unsere Körper sind aus dem Material der Natur, und nach den Lehren der Theosophie ist unser Selbstbewusstsein ein Erblühen dese Bewusstseins, das die ganze Natur durchdringt. Selbst unsere einzigartigen, menschlichen Kräfte sind Ausdruck des Universalen. Denn die Uralte Weisheit beschreibt den Menschen als einen Mikrokosmos, ein Miniaturbild des Kosmos, das alle seine Prinzipien, Energie und Funktionen in sich verkörpert. Nach den Worten der Geheimlehre: „Der Mensch ist der Mikrokosmos und ein Miniaturbild des Makrokosmos." Auf jeder Ebene, vom höchsten Geist bis zur dichtesten Materie, sind wir eins mit dem allum­fassenden Geschehen und auf vielfältige Weise in Wechselwirkung mit ihm. In jedem von uns sind alle Prinzipien der Natur (enthalten).   Wir haben gesehen, wie Einheit unser ganzes Wesen durchströmt. Wir sind aus Ganzheiten innerhalb von Ganzheiten zusammengesetzt, von den Atomen bis zu den Organsystemen. Jeder von uns ist ein Ganzes, alle kom­plexen Anlagen der Natur verbinden sich zu einem einheitlichen Wesen. Wir haben auch teil an der Einheit der Menschheit und tauschen uns auf vielfälti­ge Weise mit anderen aus, ebenso wie mit unserer Umgebung. Auf einer tie­feren Ebene ist jeder von und im Urgrund des Weltalls verwurzelt. Unser wesentliches Selbst, der Kern unseres Seins, ist Atman, unser besonderer Keim des Göttlichen, der dem Einen innewohnt, dem Ursprung von allem.   Die Erkenntniskraft, die Geist und Materie in uns verbindet, ist das Kennzeichen des Menschen. Wie sonst nirgends in der physischen Natur drückt sich der göttliche Geist durch unsere eigenen mentalen Fähigkeiten aus. Wir bringen das ordnende Prinzip des Kosmos auf jeder Ebene zum Ausdruck, da wir alle Stufen des universalen Seins verkörpern, die sieben voneinander unterschiedenen Felder oder Bereiche der Natur. Es besteht eine „unauflösbare Vereinigung zwischen dem Menschen und dem Universum, die in sieben verschiedenen Arten zum Ausdruck kommt", wie H. P. Blavatsky es ausdrückte. Aber es ist unser Verstand, unsere innere Fähigkeit zu or­ganisieren, etwas gesondert zu betrachten, zu planen und seine Bedeutung zu vermitteln, die die unmittelbarste Verbindung mit dem göttlichen Geist her­stellt. Jede Organisation und Ordnung in unserem Leben, in unserer Gesell­schaft, in Kunst und Wissenschaft und in jedwedem menschlichen Bestreben spiegelt dieses universale Ordnungsprinzip wider. Die Denkfähigkeit ist das unterscheidende Kennzeichen unserer Art.   Auch das Prinzip der Zyklen ist auf vielfache Weise in uns lebendig, von unserer Atmung und anderen physiologischen Vorgängen bis hin zu unseren Reinkarnationen in der physischen Welt, wenn wir uns periodisch in dichtere Stoffe hüllen und einen physischen Körper annehmen und sie dann wieder für eine Weile ablegen während eines Zyklus der Ruhe und des innerlichen Aufnehmens zwischen den Leben. Zusammen mit den höheren Aspekten unseres Wesens sorgt Karma für die Kontinuität unseres Seins von Leben zu Leben. Der Druck durch unsere höhere Natur beschleunigt unser Wachstum und gibt unserem Leben die Richtung, während das Karma-Gesetz als Lehrer des Lebens wirkt und uns die Folgen unserer vergangenen Handlungen und Entscheidungen präsentiert. Wir sind der gegenwärtige Brennpunkt der Evolution; der Pfeil, der in die Zukunft weist, kann nur aus unserem eigenen Denken und Fühlen ausgesandt werden.   Alle Prinzipien, die das Universum und sein Wirken lenken, sind daher wirkungsvoll in uns vorhanden. Wir haben kosmische Verbindungen. Wir verkörpern universale Eigenschaften. Wenn auch in vielfältiger Weise einzig­artig, sind wir doch nicht von der Natur getrennt. Sie wirkt vielmehr in uns und durch uns. Wir sind die Offenbarung ihrer Möglichkeiten. Wie der Phi­losophie-Professor Jacob Needleman es ausdrückte: „Die Gesetze, die die Tragweite der Energie innerhalb des Selbstes regieren, sind auch die Ge­setze, die alles im Weltall beherrschen."  

Autor: Shirley Nicholson