Die Bedeutung der Worte

Eine Anekdote aus dem Leben des Kung Fu—tse

A. R.

Einst wurde Kung Fu—tse von seinem Schüler gefragt: "Meister, wenn der Kaiser euch die Regierung des Reiches übertragen würde, welches wäre dann eure erste Weisung?"
 
Der Meister antwortete darauf: "Zweifellos würde ich zuallererst die Bedeutung der Worte genau festlegen."
 
Da rief der Schüler aus: "Aber Meister, das kann nicht euer Ernst sein! Wir sind doch alle der Sprache mächtig. Warum also sollte es so wichtig sein, zuallererst die Bedeutung der Worte genau fest­zulegen?" Er wollte sich schon enttäuscht über diese Antwort vom Meister abwenden.
 
Meister Kung belehrte den Schüler jedoch mit folgenden Worten: "Wie kurz sind doch deine Gedanken und wie beschränkt ist deine Vernunft. So höre denn:
 
Der edle Mensch legt bei allem, was er nicht vollkommen versteht, größte Vorsicht an den Tag. Wenn die Bedeutung der Worte nicht unumstößlich feststeht, reden die Leute aneinander vorbei, ohne die Wahrheit zu treffen. Und wenn die Worte verschiedene Auslegungen haben, kann kein Vorhaben zu einem guten Ende gebracht werden, und Ordnung und Gleichgewicht können nicht zur Blüte kommen.
 
Wenn Ordnung und Gleichgewicht aber nicht zur Blüte kommen und die Verhältnisse der Untertanen nicht harmonisch sind, dann sind die Strafen nicht gerecht. Und wenn die Strafen nicht gerecht sind, weiß das Volk nicht, wo es seine Hände und Füße hintun soll. Darum ist der edle Mensch stets genau in seiner Ausdrucksweise, und seine Befehle können ohne Gefahr des Mißverstehens ausgeführt werden.
 
Die Worte des edlen Menschen sind nicht doppelsinnig!"
 


Autor: Eine Anekdote aus dem Leben des Kung Fu—tse A. R.