Mabel Collins

Die Lotoskönigin

 Buchbesprechung von Charlotte Wegner
 
Die seit langem vergriffene Lotoskönigin ist  wieder im Buchhandel erhältlich. Dieser aus der Frühzeit der theosophi­schen Bewegung stammende Klassiker enthält eine Rückblende in das alte Ägypten, und zwar in die exklusive Tempelatmosphäre zur Zeit des begin­nenden spirituellen Niedergangs. Die lichte Reinheit und Erhabenheit der ur­sprünglichen Religion in Gestalt der Lotoskönigin kontrastieren mit einer von Machtgier gelenkten und dunklen Kräften ergebenen Priesterschaft. Das Geschehen wird aus der Erlebnisperspektive eines Tempelschülers geschil­dert, der, jung und unerfahren, aber mit seherischem Blick begabt, als Novi­ze in den Tempel eintritt.
 
Dieser Bericht, den man je nachdem als „Roman" oder als authentisches Zeugnis damaliger Zustände werten kann, entstand vor rund 125 Jahren. Es gibt Indizien, die darauf hindeuten, dass der wirkliche Urheber nicht Mabel Collins, sondern ein griechischer Adept ist, bekannt unter dem Namen Hila-rion.1 In ihrer Schrift Neues Grünen schildert Mabel Collins, auf welch erstaunliche Weise der Inhalt des Werkes anlässlich der Aufrichtung eines ägyptischen Obelisken am Themse-Ufer zu ihr gelangt ist.2
 
Mittels eines autobiographischen Berichts wird der Leser in der Lotoskö­nigin Zeuge subtiler psycho-mentaler Vorgänge, des Kampfes zwischen Licht und Dunkel in einer entscheidenden Phase im Leben eines altägyptischen Tempeljüngers. Stationen des seelisch-geistigen Entwicklungsweges, die in der einen oder anderen Form wohl jeder wahre Geistesschüler irgendwann zu bewältigen hat, treten eindrucksvoll zutage: Möglichkeit und Grad mayavischer Verblendung auch und gerade im Falle hoher seherischer Begabung und medialer Beeinflussbarkeit; das Ringen um Klarheit und der schließliche Durchbruch werden in anschaulichen Bildern geschildert. Durch den Schlei­er einer spannenden Erzählung erahnt der Leser Gesetze des geistigen Pfades und die dahinter verborgene spirituelle Wirklichkeit.
 
Ein erläuternder Essay des indischen Gelehrten Pandit T. Subba Row hebt das Geschehen über den individuell-historischen Rahmen hinaus: Gestalten und Vorgänge in der Lotuskönigin lassen sich als Personifizierungen von Kräften und Prozessen verstehen, die in jedem Menschen - latent oder aktiv - vorhanden sind. Sein Kommentar verdeutlicht die unverminderte Aktualität des Geschilderten.
 
Mabel Collins (1851 - 1927) war Schriftstellerin und verfasste neben Ro­manen verschiedene kleinere mystische Schriften, die Erfahrungen und Er­lebnisse in den inneren Welten, wie sie sich ausdrückte, beschrieben. Eine der bekanntesten dieser Schriften sind die Regeln und Ratschläge, die in Licht auf den Pfad zur Veröffentlichung gelangten. Auch bei diesem kleinen Werk war wie bei der Lotuskönigin an der Stelle des Namens des wahren Verfassers nur ein Dreieck gedruckt.
 
1 Vgl. H. P. Blavatsky, Collected Writings, Bibliography, Theosophical Publishing House, Adyar, India, Vol. 8, p. 426 f
 
Mabel Collins, Neues Grünen, Ullrich Verlag, Calw, S. 25 ff
 
Neubearbeitete Ausgabe der Übersetzung von E. A. Kernwart,
Grafing, 2007; ISBN 978-89427-380-4; € 9,95


Autor: Mabel Collins