DIE METHODE DER BEWUSSTSEINSENTFALTUNG

Yoga und Meditation

Die im letzten Kapitel (12) beschriebenen Distanzierungsübungen sind schon Vorübungen für die eigentliche Meditation.
 
Im Rahmen einer Schrift, die wie die vorliegende nur einer allgemeinen Information dient, ist es nicht möglich, Erschöpfendes über die Meditation auszusagen, es können nur einige allgemeine Hinweise gegeben werden.
 
Eine Voraussetzung für erfolgreiche Meditation ist es, dass der Mensch sich daran gewöhnt, auch im täglichen Leben seine Aufmerksamkeit konzentriert auf das zu richten, was er gerade betrachtet oder tut, und sich nicht ablenken zu lassen.
 
Weitere Voraussetzungen sind die im vorigen Kapitel unter Ziffer 4 und 5 angeführten „Verhaltensweisen“, Selbststudium und Hingabe an ein ideal.

Selbststudium bedeutet sowohl ein Erforschen des eigenen individuellen Selbstes und der eigenen Psyche, also Selbsterkenntnis, die schon Sokrates seinen Schülern empfahl, als auch ein Studium des „großen Selbstes“, der Weisheitslehren über die Gesetze des Makrokosmos und die Wechselbeziehungen zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos, dem Menschen.

Hingabe an ein Ideal - was immer es sei - bedeutet die Aktivierung der höheren Gefühls- und Willenskräfte des eigenen Wesens. Ohne eine gewisse Begeisterung, einen feurigen inneren Drang, die bewusste Öffnung nach innen, die Vereinigung mit dem göttlich-geistigen Selbst zu erreichen, kann diese nicht erlangt werden. Einem bloß betrachtenden Gelehrten öffnen sich die inneren Tore nicht.

Wohl bedeutet Meditation zunächst eine gedankliche Betrachtung des gewählten Gegenstandes, sei er abstrakt oder konkret - ein mystischer Lehrsatz, eine Tugendkraft, die man erwerben, oder eine Person, die man verstehen will. Aber dann muss dieser gedanklichen Betrachtung ein Eindringen in das innere Wesen dieses Gegenstandes folgen, in dem alle einzelnen von außen wahrgenommenen Eigenschaften in eins verschmelzen. Die Erkenntnis, die in einer solchen Meditation erlangt wird, ist mehr ein Einswerden, eine Identifizierung, ein Erleben als ein intellektuelles Erkennen. Die Grenzen des Verstandes werden überschritten, und etwas vom Urwissen des Geistes blitzt leuchtend in die Psyche und durch diese in das Wachbewusstsein.

Es gibt heute viele Bücher über Yoga und Meditation. Sie sind als Wegweiser nützlich. Aber Meditation ist die individuellste Angelegenheit, die es gibt - sie ist das Beschreiten des Weges aus dem eigenen Wachbewusstsein durch die eigene Psyche in den eigenen Geist. Jeder einzelne Mensch muss daher schließlich zu seinem eigenen ihm entsprechenden besonderen Meditationsweg finden.

Wesentlich für den Erfolg der Meditation sind nicht so sehr bestimmte Techniken, eine bestimmte Sitzhaltung und dgl., wenn diese auch hilfreich sein können, sondern dass man möglichst entspannt und nicht verkrampft an die Meditationsübungen herantritt. Dazu gehört vor allem auch eine richtige Wahl des Gegenstandes der Meditation. Weckt dieser unser wirkliches Interesse - nicht nur eine intellektuelle Wissbegier, sondern ein inneres Interesse, so dass auch der Gefühlsaspekt unserer Psyche und dadurch der Wille aktiviert wird -, dann gleitet man unmerklich aus der bloßen gedanklichen Betrachtung in die eigentliche meditative Haltung. Die geeigneten Meditationsgegenstände werden daher sehr verschieden sein, je nachdem, ob der Meditierende mehr intellektuell oder emotionell veranlagt ist, ob er ein mehr religiöser, künstlerischer oder praktischer Typ ist.

Das Ziel ist für alle Meditation das gleiche: das Erreichen jener Bewusstseinsschicht, die über der - gesonderten - Psyche liegt, jener Bewusstseinsschicht, in der die Einheit des Seins erlebt werden kann - durch ein Einswerden mit dem betrachteten Gegenstand, dadurch aber gleichzeitig mit dem eigenen innersten Sein und mit dem göttlichen Urgrund unseres Wesens an sich. Das ist die glorreiche Versenkung, die Unio mystica, Samadhi und Satori.

Die Stimme der Stille - eine Werk geschrieben für die sehr wenigen ernsthaft Strebenden - beschreibt diesen Zustand mit den Worten:

„Jetzt ist dein Ich im SELBST aufgegangen, du deinem inneren Wesen, eins geworden mit JENEM SELBST, von dem du am Urbeginn ausgestrahlt. - Wo ist jetzt deine Individualität, o Jünger, wo ist der Jünger selbst? Ein Funke ist aufgegangen im Feuer, ein Tropfen im Ozean, der immer gegenwärtige Strahl ist zum All geworden und zur ewigen Strahlung. - Jetzt, o Jünger, bist du Handelnder und Zeuge zugleich, bist der Ausstrahlende und die Strahlung, Licht im Klang und Klang im Licht.“

Die Wege aber, die zu diesem Ziele führen, sind individuell verschieden. *)
 
*) Anmerkungen u.a. des Autors: geeignete Leitbücher für meditative Betrachtung sind die Bücher von Mabel Collins, bes. Licht auf den Pfad, I.K. Taimni Selbstverwirklichung, Geoffrey Hodson Meditation. Eine Fülle von Sentenzen, die Gedanken für eine Meditation enthalten, gibt es auch in der allgemeinen Weltliteratur. Man denke nur an Goethes Faust oder an Dichter wie Rainer Maria Rilke und auch Manfred Kyber. Viele andere gäbe es da zu nennen.
 
Es folgt Kap. 14: „Ursprung und Ziel“
Quelle: Nobert Lauppert, Pilgerfahrt des Geistes, Graz 1972; Kap.13.
Das Büchlein ist - wenn überhaupt - nur noch antiquarisch zu erhalten

 



Autor: Norbert Lauppert