DIE SCHÖPFERISCHE HILFE DER KUNST

Der wirklich schöpferische Künstler ist ein Mensch, dessen Psyche einerseits für Einflüsse aus der geistigen Welt - zumindest in Teilbereichen - offen ist, der andererseits aber auch im psychischen Bereich selbst eine besondere Sensitivität und Ausdrucksfähigkeit besitzt; dazu kommt natürlich noch die entsprechende Wahrnehmungs- und Gestaltungskraft im Physischen.

Seit C. G. Jung wissen wir, dass gewisse innere Tatsachen sich in einer psychischen Schicht, aus der ein Teil der Einflüsse des (sog.) kollektiven Unbewussten kommt, zu Symbolen formen. Die okkulte Forschung (Erforschung des Verborgenen; die Red.) wieder weiß von „Gedankenformen“, in neuester Zeit (i.e. ca. 1972; die Red.) auch „Psychone“ genannt, die in begrenztem Maße wie lebende Wesen fungieren; sie können durch das Denken einzelner oder ganzer Gruppen von Menschen erzeugt werden. Vgl. hierzu C.W. Leadbeater, Annie Besant und Laurence Bendit. In manchen Fällen können sich solche Gedankenformen mit Ursymbolen („Archetypen“) verbinden; ihre Kraft, das Unbewusste im Menschen zu lenken, verstärkt sich hierdurch.

Der Künstler ist nun ein Mensch, dessen Psyche einen bis zu einem gewissen Grade bewussten Zugang zu diesen Ursymbolen hat. Außerdem ist seine Psyche insofern in begrenztem Sinne „medial“, als er das Denken und Fühlen anderer, aber auch das kollektive Denken und Fühlen einer bestimmten Zeit unmittelbarer aufnimmt als gewöhnliche Menschen und als er sich dadurch mit diesem Denken und Fühlen zu identifizieren vermag. Dadurch kann der Künstler in seinem Werk den Menschen Tatsachen und Wahrheiten des Lebens oft unmittelbarer vermitteln als der Wissenschaftler, Philosoph oder der religiöse Lehrer.

Was insbesondere Musik und Malerei betrifft, so ist dabei noch folgendes zu bedenken:

Das Weltall ist auf Zahlen aufgebaut. Töne und Farben sind ebenfalls nach mathematischen Gesetzen geordnete Schwingungen. Theoretisch lässt sich eine mathematische Gleichung auch in Farben oder Tönen ausdrücken. Musik und Malerei stehen so in unmittelbarer Beziehung zu den Grundbausteinen und Grundkräften des Universums.

Von diesen Grundbausteinen und Grundkräften des Universums haben Physik und Chemie und andere Naturwissenschaften einen Teil erforscht. Andere, insbesondere die Gedanken- und Gefühlskräfte des Menschen selbst, harren noch einer genaueren Erforschung und wurden erst in jüngster Zeit durch Tiefenpsychologie und okkulte Forschung etwas ins Licht gerückt. Völlig unerforschbar bleibt die hinter allem liegende Urkraft des Geistes.

Sowohl im Bereich des Psychischen als auch im Bereich der biologischen und physikalischen Natur gibt es aber noch ein weites Gebiet, das bis zu einem gewissen Grade erforschbar wäre. Es gibt Naturkräfte, die für den Menschen schwer zu begreifen sind. Sie erscheinen bald als reiner Gesetzmäßigkeit unterliegende - also gewissermaßen seelenlose - Kräfte, bald aber gleichen sie beseelten Wesenheiten. Ihre Existenz spiegelt sich in den Volkssagen über Feen, Elfen, Naturgeister und dergleichen und in den Traditionen der Religionen über Devas und Engel. In einzelnen okkulten Werken werden sie als „halbintelligente Kräfte“ beschrieben. Mit derartigen Kräften oder Wesenheiten haben wir es im Reich der Töne und Farben ebenfalls zu tun.

Die Kunst gibt dem Menschen somit eine Erlebnisvermittlung besonderer Art. Sie ist zwar kein Ersatz für meditative Vertiefung zum Aufbau des höheren Bewusstseins, aber sie ist eine machtvolle kraft, die dadurch, dass sie gleichzeitig auf viele Schichten des menschlichen Bewusstseins wirkt und dadurch eine Identifizierung mit dem Geschauten oder Gehörten auslöst, zu gewaltigen Erschütterungen führen und dem Menschen oft blitzartiges Gewahrwerden, ein Erkennen höherer Art, vermitteln kann, das allerdings nachträglich auch verstandesmäßig bewältigt werden muss.

Diese große Macht der Kunst birgt allerdings auch Gefahren. Die Kräfte, mit denen der Künstler arbeitet, sind an sich amoralisch. Gut und Böse existiert nur im Bereich des Menschen. Nur er hat die Fähigkeit der Unterscheidung und Entscheidung. Die Kunst vermag daher sowohl positive als auch negative Wirkungen auszuüben. Negative, destruktive Kunst ist mit Rücksicht auf ihre vielschichtige Wirkung gefährlicher als destruktive Wissenschaft.

Das über die Wirkungskraft der Kunst Gesagte gilt in gewissem Maße auch für die modernen „Massenmedien“ Rundfunk, Fernsehen, Film und dergleichen (u. a. heute das Internet; die Red.). Sie arbeiten zwar zum großen Teil mit wesentlich „seichteren“ Mitteln, dies wird aber wettgemacht durch die Häufigkeit und Eindringlichkeit ihrer Einwirkung.

Es folgt Kap. 11: „Der Weg der Bewusstseinsentfaltung“

Quelle: Nobert Lauppert, Pilgerfahrt des Geistes, Graz 1972; Kap.10.
Das Büchlein ist - wenn überhaupt - nur noch antiquarisch zu erhalten.


Autor: Norbert Lauppert