Es war einmal ein Kloster, das für seine hohe Geistigkeit bekannt war, dann aber in Schwierigkeiten geriet. Anscheinend hatten die Menschen jenes Landes kaum noch Interesse an geistigen Dingen. Nicht nur, dass seit vielen Jahren keine neuen Mönche mehr eingetreten waren, auch die Brüder selbst hatten ihre Berufung aus den Augen verloren und führten das mönchische Leben nur noch rein routinemäßig - ohne Hingabe und Dienstwilligkeit. Es waren nur noch einige ältere Mönche da; und sie schienen ihre Tage größtenteils damit zu verbringen, sich gegenseitig Vorwürfe für den geistigen Verfall des Klosters zu machen.
„Was ist bloß geschehen? Was haben wir falsch gemacht?“, klagte der Abt eines Abends.
„Ich glaube, es ist Bruder Gregors Schuld“, rief einer der Mönche aus, „er war schon immer ein Störenfried.“
„Woher weißt du das? Du selbst hast ihn nie leiden können. Wie steht es aber mit Bruder Matthäus? Der ist seit je eine Nervensäge gewesen.“
Und so ging es weiter; die Mönche stritten sich und der Abt begann zu verzweifeln. Er sorgte sich nicht nur um den Fortbestand des Klosters, sondern vor allem um die Seelen der zanksüchtigen Brüder.
Eines Tages besuchte ein Rabbi das Kloster. Er wurde willkommen geheißen und nahm während der folgenden Tage an den täglichen Arbeiten und Gebetsversammlungen der Mönche teil. Als er nach mehreren Wochen wieder abreiste, bat ihn der Abt zum Abschied noch um folgendes:
„Sie sind viel gereist und haben viele Stätten der Gelehrsamkeit und der Geistigkeit besucht“, sagte er dem Rabbi. „Können Sie uns helfen? In unserer Gemeinschaft herrscht nicht mehr derselbe gute Geist wie früher, und keiner von uns weiß, warum. Haben Sie irgendeinen Rat für uns?“
Der Gast schwieg eine Zeitlang und dachte tief nach.
Nachdem die Frage mehrere Male wiederholt worden war, sagte er schließlich: „Ich weiß nicht, ob ihre Mönche meinem Rate folgen werden. Aber vielleicht interessiert sie folgendes: Der Messias wohnt hier - in diesem Kloster - unter euch.“
„Was sagen Sie?“, stammelte der Abt ungläubig. „Wie kann das möglich sein, dass er hier lebt?“
Der Besucher lächelte, sagte aber nichts weiter.
An jenem Abend teilte der Abt den Mönchen diese Abschiedsworte des Gastes mit.
„Der Messias unter uns? Wer sollte das sein?“, rief jeder von ihnen aus.
Dann fragten sie sich untereinander: „Es kann doch nicht Bruder Timotheus sein - oder vielleicht doch? Er ist wirklich sehr hilfsbereit und irgendwie immer da, wenn man ihn braucht.“
„Doch nicht Bruder Simon? Allerdings ist er manchmal auch sehr weise…“
„Schon gar nicht der ständig kritisierende Bruder Jeremias … das heißt - letzten Endes hat er doch immer recht…“
„Etwa der Abt selbst?“
„Oder ob es möglicherweise sogar ich sein könnte?“
Autor: unbekannt