Es werde Licht!
„Und Gott sprach: Es werde Licht!
Und es ward
Licht." (1. Mose 1,3)
„ Das Licht scheinet in der Finsternis, aber
die
Mächte der Finsternis haben es nicht
begriffen." (Johannes 1,5)
Wir leben in einer Zeit, in der die wahre Liebe
selten zu finden ist; denn die Selbstsucht der Menschen hat fast ihre höchste
Blüte erreicht. Den meisten ist in der herrschenden Geistesfinsternis der
Glaube an eine höhere Bestimmung verlorengegangen. Inmitten dieser uns in
allen nur möglichen Variationen umgebenden Selbstsucht macht sich ein Streben
bemerkbar nach Erkenntnis, und der Geist will die Fesseln abstreifen, die der
Materialismus ihm angelegt hat.
"Blicke umher, und betrachte das Leben! Alles
ist vergänglich und nichts besteht. Du siehst Geburt und Tod, Wachstum und
Verwelken, Verbindung und Trennung. Die Herrlichkeit der Welt ist wie eine
Blume; sie steht am Morgen in voller Blüte und welkt in der Hitze des Tages.
Wo du auch hinblickst, siehst du ein
Rennen und Ringen, ein eifriges Jagen nach Lust, eine feige Flucht vor
Schmerz und Tod, einen Jahrmarkt, auf welchem Täuschungen feilgeboten werden,
und die Flammen der brennenden Begierde lodern auf. Die Welt ist voll von
wechselnden Erscheinungen und Verwandlungen.
Gibt es nichts Dauerndes in der Welt? Ist in diesem
allgemeinen Wirbel kein Ruheplatz, wo das geängstigte Herz Frieden finden
kann? Gibt es nichts, das von ewiger Dauer ist?
Die Wahrheit (Gott) ist ewig, sie kennt weder Geburt
noch Tod, sie hat weder Anfang noch Ende."
Das ganze Weltall mit allen seinen Formen und
Erscheinungen ist die Offenbarung einer einzigen, ewigen Einheit, oder mit
anderen Worten,
alle Daseinsformen sind Zustände des einen ewigen Seins. Gott ist die
alleinige Wirklichkeit, der ewige Urgrund aller Dinge; alles übrige ist
Erscheinung. Er ist eine sich nie ändernde Eigenschaft in allem Materiellen,
aber nicht die Materie selbst. „Er ist das Licht in allen Dingen, die Licht
haben, und über alles Dunkel erhaben". Der Unendliche erschuf dieses
Licht nicht außerhalb seiner selbst, sondern es war in seinem eigenen Wesen
enthalten. „In ihm war das Leben, und das (geistige) Leben war das Licht der
Menschen. Dieses Licht leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis faßt
es nicht. Die ,Finsternis' ist der menschliche Intellekt, dessen Urteil auf
objektiver (wissenschaftlicher) Beobachtung, Schlußfolgerungen und Beweisen
beruht, der aber ohne das göttliche Licht blind und keiner Erleuchtung fähig
ist. Man hat das im Herzen wohnende Licht mit der Sonne verglichen, das Licht
des Verstandes mit dem Mond. Der Mond hat kein eigenes Licht; er leuchtet nur
infolge des Widerscheins, den dasjenige der Sonne auf seiner Oberfläche
erzeugt. Ein Verstand ohne Liebe ist ohne wahre Erkenntnis; er gibt ein
falsches, trügerisches Licht. Dennoch ist der Mond und auch der Verstand
nicht zu entbehren. Wo die Sonne nicht
leuchtet, da leistet der Mond gute Dienste. Wo
es an Weisheit fehlt, da hilft oft die Wissenschaft. Das Herz sollte die
Wahrheit erkennen und der Verstand diese Erkenntnis prüfen. Dann findet sich
der Mensch in der wahren Erkenntnis zurecht.
Es gibt ein Licht über alles Licht,das nur in die Seelen der Menschen bricht,das innen leuchtet und innen strahltund dann sich im Auge, im Antlitz malt.Es ist dies Christus, das himmlische Licht,das dir eine ewige Krone flicht!
Es gibt nur ein einziges wahres Licht, das niemand
kennen lernt, wenn er es nicht in sich selbst aufnimmt, so daß es seine Seele
durchdringt. Der wahre, unsterbliche Mensch lebt in diesem Lichte und wird
von ihm erleuchtet, der äußere, tierische Mensch erlangt nur dessen
Widerschein. Das geistige Licht (Christus) ist überall; der Mensch braucht es
nirgends zu suchen. Er selbst ist das Dunkel. Tritt er aus dem Dunkel heraus,
so geht er ein in das Licht. Somit findet er dieses, indem er dem Dunkel, d.
h. dem Selbst entsagt. Alle menschlichen Leiden entspringen aus dem Dunkel
der Nichterkenntnis und dem Feuer der Begierde. Dagegen gibt es kein anderes
Mittel, welches Erlösung und dauernde Heilung bringt, als das Licht der
Erkenntnis (Theosophie), das durch Entsagung erlangt wird, was nichts anderes
heißt, als ein Aufgeben des Niederen, wodurch man das Höhere erreicht.
Wie aber auch das Licht dieser Welt einen Menschen
nicht sehend machen kann, wenn er selbst blind ist, und es ihm wenig nützt,
wenn er vom Dasein des Lichtes nichts weiß als die Theorie, so hat auch das
Licht der Wahrheit für den Menschen erst dann einen praktischen Wert, wenn er
die Wärme desselben, die göttliche Liebe, empfindet und in seiner Seele das
Licht selbst offenbar wird.
Wenn Licht hereinbricht, wird die Seele glanzvoll,und dem Gemüt blüht nichts als Seligkeit.
Solange der Funke der göttlichen Selbsterkenntnis im
Grunde der Seele ruht, kann das aus dem Universum eindringende geistige Licht
den Menschen zum (wahren) Leben erwecken, wenn auch in außerordentlich
wenigen im jetzigen Zeitalter eine solche Erweckung stattfindet. Jeder, in
dem die Sonne der göttlichen Weisheit zur Offenbarung gekommen ist, ist ein
Jesus oder ein Buddha (Erleuchteter), ein Gott in seinem Wesen, in seiner
Erscheinung ein Mensch. Die okkulte Wissenschaft wird deshalb „okkult"
genannt, weil sie sich nur auf das Leben des Gottmenschen (Christus) in uns
bezieht, und sie wird allen Menschen, so gelehrt sie auch sein mögen, ewig
„okkult", d.h. verborgen bleiben, solange diese von einem innerlichen
geistigen Leben nichts empfinden und das Dasein Gottes, der in ihnen selbst
und in allem wohnt, nicht wirklich erkennen. Diese Erkenntnis erlangt der Mensch
aber erst dadurch, daß er die ihn umgebenden Täuschungen überwindet. Wenn er
die Finsternis erkannt hat,
beginnt er das Licht der Wahrheit zu lieben. Aus dem Dunkel entspringt das
Licht und aus dem Leid die Freude. In der Überwindung des Irrtums durch die
Kraft der Gotteserkenntnis (Theosophie) besteht die Erlösung. „Der in
Wahrheit Erleuchtete ist wie die Sonne, deren Licht das Heer der Wolken
zerstreut." Ein Mensch, in welchem sich die Wahrheit offenbart, erkennt
die Welt als ein lebendes Wesen, in welchem unzählige kleinere Welten
fortgesetzt entstehen und vergehen. Er weiß, daß, wie jede kleine Welt ihre
bestimmten Perioden des Wachens und des Schlafens hat, es auch für die große
Welt Perioden der Tätigkeit und solche der Ruhe gibt. Er sieht, daß jedesmal
auf eine Periode des Wachens eine solche der Ruhe folgt, während welcher alle
Dinge ins Nichtoffenbare eingehen und in Gott ruhen, so wie die Gedanken im
Menschen ruhen, wenn er nicht denkt, ohne daß der Mensch deshalb sein Wissen
verliert. Er sieht, wie die ganze Natur im Ewigen ruht, bis „im Anfange"
Gott wieder zum objektiven Dasein erwacht, und durch den endlosen Raum das
schöpferische Wort erschallt:
Es werde Licht!
Aus: „Theosophischer Wegweiser", Bd. I
Autor: TGD