Gedanken
über theosophische Vorträge
Hans
Beetz
Auch in
diesem Jahr trafen sich wieder Mitglieder der TGD und viele andere geistig
interessierte Menschen im schönen Nordschwarzwald, um sich über eine Woche lang
mit den alten Weisheitslehren zu beschäftigen, die heute unter dem Namen
„Theosophie" bekannt sind.
Obwohl
dieses Treffen schon das achtundvierzigste dieser Art in ununterbrochener Folge
war, stellt sich doch die Frage nach dem Sinn solcher Veranstaltung. Warum
kommen die Freunde immer wieder zusammen, obwohl es doch eine überaus
reichhaltige theosophische Literatur gibt, deren Studium auch in der
heimatlichen Wohnung möglich ist?
Die Antwort
scheint klar zu sein: Jeder weiß, daß ein noch so intensives Studium in den
eigenen vier Wänden den Kontakt mit gleichgesinnten Freunden nicht ersetzen
kann. Oft gelingt es erst im Gespräch mit anderen, Zusammenhänge zu
durchschauen, im Verlauf der Zeit entstandene Fehlinterpretationen zu erkennen
und den geistigen Horizont zu erweitern. Selbstverständlich ist dies für die
Menschen, die weit entfernt von theosophischen Zentren leben und die deshalb
kaum Vorträge besuchen können, besonders wichtig.
Diese
Antwort ist richtig, gilt aber für jeden beliebigen Verein. Theosophische
Treffen haben darüber hinaus jedoch eine weitere wichtige Aufgabe: Die Vorträge
sollen, zumindest ansatzweise, den Teilnehmern den Weg zum Spirituellen weisen.
Das
„Spirituelle" oder „Spiritualität", was ist das eigentlich? Das Wort
leitet sich vom lateinischen „spiritus" (= Leben, Seele, Geist) ab und ist
in der „esoterischen" Literatur der Gegenwart zu einem Modewort verkommen,
das oft sinnentstellend benutzt wird.
In der
theosophischen Literatur dagegen hat es eine ganz klar definierte Bedeutung,
die sich am ehesten mit Hilfe der Lehre von der siebenfältigen
Konstitution erklären läßt. In einem kleinen Exkurs soll hier eine kurze
Erklärung angedeutet werden.
Danach ist
ein wichtiges Prinzip im Menschen (und im Kosmos) das, was mit dem Wort
„Kâma" bezeichnet wird. Es ist, wie William Q. Judge im „Meer der
Theosophie" schrieb, die „Basis der Handlung und der Beweger des
Willens", mit anderen Worten die Sphäre der Wünsche, Begierden und
Leidenschaften und damit eine wichtige Triebfeder für unsere Handlungen. Die
Kräfte dieser Bewußtseinsstufe sind nicht „schlecht" an sich, nur dürfen
sie nicht Herrscher über den ganzen Menschen werden, sondern sie müssen den
höheren Prinzipien als zuverlässige Werkzeuge dienen.
Das nächst
höhere Prinzip wird als „Manas" bezeichnet. Bei William Q. Judge lesen
wir: „ ...Manas oder der Denker ist das reinkarnierende Wesen, das
Unsterbliche, das alle Ergebnisse und Werte der verschiedenen auf der Erde und
anderswo gelebten Leben in sich speichert. Manas wird in seiner Natur dual,
sobald es sich mit einem Körper verbindet. Weil das menschliche Gehirn ein
höheres Organ ist, wird es von Manas benützt, um aus Voraussetzungen
Schlußfolgerungen zu bilden ..."
Aber erst,
wenn wir über die noch höheren Prinzipien, insbesondere „Buddhi" sprechen,
kommen wir in den Bereich dessen, was mit „spirituell" oder
„Spiritualität" eigentlich gemeint ist.
Die
Schwierigkeit liegt nun darin, daß ein niederes Prinzip nicht ein höheres
erklären kann. So kann auch die menschliche Sprache, die im Bereich des Denkens
ihren Ursprung hat, das Spirituelle nicht erklären. Bestenfalls kann man durch
Vergleiche oder Umschreibungen den Hörer vermuten lassen, in welche Richtung er
seine Gedanken schicken müßte, um im günstigsten Falle ein kleines Zipfelchen
des wahrhaft Spirituellen zu erahnen.
So können
wir sagen, daß es im Bereich echten spirituellen Lebens nicht die geringste
Spur von Egoismus mehr geben kann, auch nicht in sublimierter, verkappter Form.
Er ist völlig umgewandelt in Altruismus, das uneigennützigen Wirken für die
ganze Menschheit, nicht nur für eine Gruppe oder gar die nächsten Angehörigen.
Auf jeden Fall gehört in diese Sphäre auch die wahre Unterscheidungs-kraft, die
es dem Menschen ermöglicht, ohne einen „Beweis" das Wahre und Gute zu
erkennen und nach diesen Erkenntnissen zu leben. Es ist die geistige Schau, die
dem ernsthaft Strebenden die Gesetze des Kosmos offenbart und ihn tatsächlich
erkennen läßt, daß der wahre Mensch ein Teil des Universums ist und nicht ein
an die Materie gefesselter Erdenwurm. Er erkennt die Gesetze der höchsten Ethik
und verwirklicht sie durch sein Leben und Wirken.
Nach diesem
Versuch, in kurzen Worten anzudeuten, was Spiritualität wirklich bedeutet,
komme ich wieder auf die eingangs erwähnte Forderung zurück, daß ein guter
theosophischer Vortrag neben einigen rhetorischen Voraussetzungen auch diese
Ausrichtung auf echte Spiritualität haben sollte, wenn er den wahren, geistigen
Menschen und nicht nur die niedere vergängliche Persönlichkeit ansprechen soll.
Daß dies
nicht ganz leicht ist, liegt auf der Hand. So kann etwa ein Psychologe einen
rhetorisch hervorragenden Vortrag darüber halten, was man tun müsse, um
glücklich, selbstbewußt, erfolgreich und zufrieden zu werden, kurz - um ein
Modewort zu benutzen - um „sich selbst zu verwirklichen". Er bewegt sich
dann aber immer noch nur im Bereich der kleinen, egoistischen Persönlichkeit
und damit in der Strömung unserer heutigen Zeit. Aus spiritueller Sicht sind
seine Erklärungen also wertlos.
Übrigens
hat auch Frau Blavatsky in vielen ihrer Schriften vor der Betonung des
Psychischen, also bloß Kämischen, dringend gewarnt. So lesen wir (in „Fünf
Briefe an die amerikanischen Theosophen", Seite 45):
„Die Ethik
ist in der Theosophie wichtiger, als jedwelche Plapperei über psychische
Gesetze und Tatsachen. Die letzteren gehören gänzlich dem stofflichen,
vergehenden Teil des siebenfachen Menschen an, während die Ethik in den
wirklichen (inneren) Menschen -das reinkarnierende Ego - sinkt und ihn
erfaßt."
Und bei G.
v. Purucker lesen wir („Goldene Regeln der Esoterik", S. 97): „Hüte dich
vor dem Trugglanz der niederen Natur, und ganz besonders vor der niederen
Zwischennatur, welche die psychische genannt wird. Nichts ist so trügerisch wie
die falschen Lichter Mâjâs. Oft
enthalten schön aussehende Blumen tödliches Gift, entweder in der Knospe oder
im Dorn oder in beiden. Suche zuerst deine spirituellen und intellektuellen
Kräfte; bade dich im Lichte deiner spirituellen Natur, damit du geistiges
Schauen und Willenskraft entwickelst; und dann werden diese anderen Fähigkeiten
in dir von selbst, ganz natürlich und ungezwungen erwachen."
In allen
Veranstaltungen der Sommertagung - den Einstimmungen in den Tag, den
Studiengesprächen am Vormittag und besonders den Abendvorträgen - haben wir
versucht, die hier skizzierten Gedanken anklingen zu lassen und werden dies
auch in Zukunft tun.
Autor: Hans Beetz