Ein Querschnitt durch die Schriften Blavatskys in moderner, gut lesbarer Übersetzung in einer ansprechenden Taschenbuch-Ausgabe – das ist es, was den Reiz dieses Buches ausmacht. Nicht jedem liegt es, voluminöse Werke zu studieren – hier wird der Leser unmittelbar an Kern-Passagen aus Geheimlehre, Isis Entschleiert, Schlüssel zur Theosophie, Stimme der Stille, Höhlen und Urwälder Hindustans herangeführt, darüber hinaus an die bis heute aktuellen Artikel Haben Tiere eine Seele undPraktischer Okkultismus.
Die Textauswahl bietet die Möglichkeit, sich unmittelbar ohne größeren (finanziellen und zeitlichen) Aufwand ein authentisches Bild von Blavatsky zu machen, fernab der üblichen Klischees, die meist in Unkenntnis der Originaltexte und als Widerhall überholter, längst widerrufener Fehlurteile immer noch verbreitet sind.
Editorische Vorbemerkungen geben eine Kurz-Einführung zu den einzelnen Werken. Über Blavatskys Leben informiert ein vorangestellter biographischer Überblick, in dem Sylvia Botheroyd zügig, fesselnd und mit psychologischem Einfühlungsvermögen durch die Stationen des in vieler Hinsicht bemerkenswerten Lebens der Helena Blavatsky führt.
Das lebendige Bild einer dynamischen, geistige Fesseln und Verkrustungen sprengenden Frau entsteht, die mit kühnem Mut, außergewöhnlichen Fähigkeiten und rastlosem Einsatz ihrer Aufgabe und allen damit verbundenen Herausforderungen begegnet.
Auf die bislang wenig bekannten Impulse, die von Blavatsky auf viele ihrer berühmten Zeitgenossen ausgingen, die Öffnung des allgemeinen Denkhorizontes in Richtung der Weisheitstraditionen des fernen Ostens wird der Leser gleich zu Beginn des Buches aufmerksam gemacht.
Die Biographie hebt sich wohltuend von manch früherer ab, insofern als die Herausgeberin bemüht ist, "jede Stilisierung dieser erstaunlichen Frau zu vermeiden." Das Buch lebt von der Frische und Unmittelbarkeit der Darstellung.
Die verschiedenen Stilebenen, auf denen sich Blavatsky bewegt, auch ihre köstliche Ironie, kommen in der Übersetzung voll zur Geltung; denn wie die Herausgeberin feststellt: "Ihre (Blavatskys) Präsentationsmöglichkeiten sind ungewöhnlich – wenn es um Heuchelei und Anmaßung geht, nimmt sie kein Blatt vor den Mund – über die sachliche Darstellung esoterischer Systeme zur spannenden Geschichte, von humorvollen Details zu wunderschönen lyrischen Passagen."
Somit ist die Lektüre – und das ist bei einer überwiegend abstrakten Thematik durchaus nicht selbstverständlich – abwechslungsreich, nicht nur informativ und interessant, sondern auch besinnlich-kontemplativ, stellenweise sogar höchst unterhaltsam.
Wie sie in ihrer Einführung sagt, hat Sylvia Botheroyd solchen Texten den Vorzug gegeben, in denen "Blavatsky direkt zum Leser spricht, ihre Gedankengebäude erläutert und ihre Ansichten direkt vertritt", in der Überzeugung, dass es den "philosophischen Erkenntnissen, zeitlos und universal, keinen Abbruch tun kann, wenn ein Mensch aus Fleisch und Blut sie vertritt."
Wenn der amerikanische Kulturhistoriker Theodore Roszak mit seiner Feststellung Recht hat, Blavatsky sei "eine zukunftsträchtige Begabung, die es noch zu entdecken gilt", so kann dies Buch als Einstieg dienen. Hier findet der Leser die ursprüngliche Quelle und philosophische Grundlage vieler Ideen, die heutzutage, oft verzerrt und verflacht, mit dem Begriff Esoterik verbunden werden.
Die Originaltexte vermitteln aus erster Hand einen Einblick in die Weite und Tiefe des theosophischen Weltbildes. Zugleich enthalten sie Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Ursprung und Natur von Mensch und Kosmos, Zyklen der Entwicklung, physische und geistige Evolution, Schicksal und Gerechtigkeit sind Themen, die hier behandelt werden, und zwar aus einer übergreifenden, wenn nicht gar universellen Perspektive.
Inmitten des geistigen Umbruchs und der Suche nach neuer Orientierung, die wir heute erleben, mag der Leser mit Erstaunen erkennen, dass sich in diesen Schriften "die Grundlage für ein neues Denken" (Dr. P. Michel) findet, und dass mit der von Blavatsky gegründeten Theosophischen Gesellschaft bereits 1875 ein Instrument geschaffen wurde, "das den Dialog der Religionen als Basis für das friedliche Zusammenleben der Menschen erachtete, – schon lange bevor dies allgemeine gesellschaftliche Überzeugung wurde."
(Charlotte Wegner)