Geoffrey Hodson „Krankheit aus esoterischer Sicht“ 

(erschienen im Aquamarin Verlag 2012)

Diese bereits 1930 veröffentlichte Studie über das Problem von Krankheit und Gesundheit hat heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Für einige Leser mag der Hinweis des Verfassers, wie er seine Einsichten gewonnen hat, von Interesse sein.

„Es gibt mindestens drei Wege“, heißt es im Vorwort, „um Wissen zu erlangen; eigene Beobachtung, Erziehung durch jemand anders und direkte intuitive Wahrnehmung. Die ersten beiden sind äußerlich, der dritte innerlich.“Dieser letzte Weg ist es, den Hodson beschritten hat. „Mit tiefem Interesse am Problem menschlichen Leidens und besonders dem von Gesundheit und Krankheit, richtete er all seine mentalen Energien darauf, eine Lösung zu finden.“ „Er glaubt“, so heißt es weiter, „dass er durch einen Meditationsprozess sich jenem Bewusstseinsreich näherte, in dem alles Wissen ruht. Er fühlte sich bei seiner Suche nach Wahrheit von einem Lehrer geleitet. Er sah … durch ungewohnte Augen, und während er schaute, zeichnete er das Wenige auf, das er zu sehen in der Lage war.“ „Möge es dazu dienen, den Leidensdruck, der so schwer auf der Welt lastet, wenn auch nur um eine Träne, zu verringern. Möge es in anderen den Wunsch wecken, den Schleier zu durchdringen, hinter dem alles Wissen verborgen liegt, und ihre Entdeckungen darauf zu verwenden, den Schmerz und die Trauer der Menschheit zu erleichtern.

Stärkere Geister, eine kühnere geistige Vision und ein größerer Meister englischer Prosa sind nötig, will man der herrlichen Schau vollkommenen Wissens wahrhaft teilhaftig werden und in eine würdige Form gießen. Bis dahin möge dies dem Leser dienen.

 Es liegt Hodson daran, festzustellen, dass mit dem oben Gesagten keinerlei Anspruch auf „Autorität“ oder gar „göttliche Inspiration“ verbunden sei. Das Buch sei einzig und allein nach seinem Inhalt zu bewerten. Obiges habe er erwähnt, um eventuellen Fragen zu begegnen, und aus Gründen der Aufrichtigkeit, um die Hilfe, die ihm zuteil wurde, nicht unerwähnt zu lassen.

 Als Basis seiner Ausführungen umreißt er in einer Einführung das theosophische Menschenbild.

(Redaktion)



EINFÜHRUNG

Das Buch gründet sich auf folgende Annahmen:

1. Der Mensch ist ein dreifältiges geistiges Wesen, das in vier stofflich-sterblichen Hüllen inkarniert ist.


2. Die drei Aspekte seines geistigen Selbstes sind Widerspiegelungen göttlichen Willens, göttlicher Liebe und göttlicher Intelligenz.

In diesem geistigen Aspekt seiner Natur ist der Mensch eins mit dem Logos. Der Unterschied zwischen Logos und Mensch liegt in dem Grad, in dem ihre dreifältigen Kräfte offenbar geworden sind.

 In Gott sind diese Kräfte vollständig offenbar; im Menschen manifestieren sie sich graduell in dem Maße, in dem seine Evolution fortschreitet.


3. Die vier stofflich-materiellen Körper (Hüllen) des Menschen in zunehmender Dichte sind:

(a) sein Mentalkörper, aus Mentalstoff gebildet und Träger (Schwingungsfeld) seiner Gedanken.

(b) sein Emotionalkörper, aus Emotionalstoff gebildet; Träger (Schwingungsfeld) seiner Gefühle.

(c) sein Vital- oder ätherischer Körper, aus Ätherstoff gebildet, Träger seiner physischen Lebenskraft sowie Verbindungsglied zu den feinstofflichen Hüllen.

(d) sein physischer Körper, bestehend aus physisch festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen. Der Erdenleib ist das Werkzeug seines Handelns und seines Selbstausdrucks in der physischen Welt.

 Innerhalb dieses vierfachen stofflich-materiellen Teils seiner Natur verliert der Mensch für eine gewisse Zeit das Bewusstsein seines Einsseins mit Gott.

 Mit fortschreitender Evolution gewinnt er sein verlorengegangenes Bewusstsein wieder; dies ist das Ziel allen spirituellen Strebens.


4. Der Zweck menschlichen Daseins ist geistiges Wachstum.

Das Wachstum besteht einerseits in der allmählichen Entfaltung der dreifachen spirituellen Kräfte aus ihrem latenten Zustand zu ihrer vollen Wirksamkeit; andererseits in der Entwicklung der vier stofflichen Träger und zwar so, dass in ihnen die dreifältigen spirituellen Qualitäten voll zur Manifestation
gelangen. Der wahre Zweck der Religionen besteht darin, dem Menschen bei der Erreichung dieses Zieles behilflich zu sein.


5. Das Ziel menschlicher Evolution ist jenes Maß an Vollkommenheit, wie es im Christentum beschrieben wird als das „Maß der Vollendung in Christus.“ (Eph. 4,13)

Dies impliziert das Erreichen eines vollendeten Status von Allmacht oder vollendeter Willenskraft; von Allgegenwart oder vollendeter allumfassender Liebe; von Allwissenheit oder allumfassendem Wissen - so weit es auf der menschlichen Bewusstseinsebene möglich ist.

Das Erreichen dieser Vollkommenheit ist absolut gewiss für jeden Menschen.

Dem Gebot „Ihr sollt vollkommen sein, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist“, werden ohne Zweifel einst alle Menschen Folge leisten.


6. Jenseits dieses Zustands menschlicher Vollkommenheit gibt es ein noch höheres Stadium übermenschlicher Vollendung; jenseits davon gibt es einen Stufenweg zu der geistigen Höhe des Logos selbst.

Der Logos ist der Schöpfer, Erhalter und Gestalter aller Welten seines Reiches und der geistige Ursprung aller Menschen. Er selbst ist ebenfalls noch in der Entfaltung begriffen, zusammen mit Seinem ganzen System und allem, was es enthält. Er reift einem Ziele zu, das jenseits des Verstehens des sterblichen Menschen liegt.

Da der Mensch ein Gott im Werden ist, sind seine zukünftige Herrlichkeit, seine Weisheit und seine Macht ohne Grenzen.


7. Das Ziel menschlicher Vollkommenheit wurde bereits von Menschen erreicht.

Solche vollkommenen Menschen sind als Adepten und Meister der Weisheit bekannt.


8. Diese übermenschlichen Wesen bilden die innere Regierung der Welt und sind die wahren geistigen Lenker, Lehrer und Inspiratoren der Menschen.

Sie sind die erleuchtete Körperschaft der „Gerechten und Vollkommenen“, die „Gemeinschaft der Heiligen“.


9. Das Ziel menschlicher Vollendung wird erreicht durch aufeinander folgende Inkarnationen in stofflichen Trägern (Hüllen), die jedesmal während der vorgeburtlichen Phase des folgenden Lebens neu gebildet werden.


10. Wiederholte Inkarnationen haben zum Ziel, die latenten Kräfte des sich entwickelnden göttlichen Wesens, das der Mensch ist, hervorzubringen.

Zweck und Wirkung wiederholter physischer Existenz ist Erziehung [d. h. Hervor-Ziehung] im wahrsten Sinne des Wortes.

Ist das erreicht, so ist Wiederverkörperung [auf der physischen Ebene] nicht mehr notwendig. Jeder weitere Fortschritt kann dann in feinstofflichn Welten erfolgen. „Wer überwindet, den werde ich zum Pfeiler im Tempel meines Gottes machen, und er soll nicht mehr herausgehen.“ (Offbg. 3,12)


11. Alle Inkarnationen sind miteinander verbunden durch das stets wirkende Gesetz von Ursache und Wirkung oder das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Alle unsere Handlungen, Gefühlsregungen und Gedanken erzeugen ihre eigene natürliche und ihnen entsprechend Reaktion. Diese Reaktionen können sofort erfolgen, etwas später im selben Leben oder in nachfolgenden Inkarnationen. Auf dieses Gesetz wird Bezug genommen im Neuen Testament: „Was immer der Mensch sät, das wird er ernten.“ Das Sanskrit-Wort „Karma“ bezeichnet das Wirken dieses ewigen Gesetzes.


12. Handlungen, denen die Erkenntnis der Einheit zugrunde liegt und die motiviert sind durch Liebe, Dienen und Selbstlosigkeit, erzeugen Freude, Gesundheit und eine zunehmende Freiheit der Selbstverwirklichung, die den Handelnden zur Wiederholung anregen.


13. Handlungen, die auf Getrenntheit basieren und durch Abneigung, Gier und Egoismus motiviert sind, erzeugen Schmerz, schlechte Gesundheit, eine zunehmende Beschränkung
im Selbstausdruck, was den Handelnden von einer Wiederholung abbringt. So leitet das Gesetz die Menschen hin zur Rechtschaffenheit.

Freude oder Schmerz im Leben werden in ihrer Intensität bestimmt durch den Grad, in dem egoistische oder selbstlose Motive im Handeln Ausdruck fanden.

Leiden ist weder eine Bestrafung, die von oben auferlegt wurde, noch eine Widrigkeit des Zufalls, sondern es ist selbst verursacht und dazu bestimmt, den Handelnden sich seiner Übertretungen bewusst werden zu lassen. Daher ist jedes Leiden von seinem Zweck und von seiner Wirkung wahrhaft wohltätig und erzieherisch.


14. Der wahre geistige Mensch, der seine vier Körperhüllen bewohnt, ist sich des Wirkens dieses erzieherischen Gesetzes stets bewusst und erwirbt schließlich nach und nach Erkenntnis, Weisheit, Kraft und Charakter.

Diese bilden den einzig wahren und ewigen Besitz des Menschen. Es sind die „Schätze im Himmel, die weder Motten noch Rost fressen.“

Aller materieller Besitz und jede zeitliche Macht gehen dahin, und das ausschließlich darauf gerichtete Streben ist gänzlich vergebens.


15. Das Wirken des Gesetzes der ausgleichenden Gerechtigkeit bildet die einzige Kontrolle und das einzige Gericht, dem der Mensch jemals unterworfen ist.

Der Mensch schafft sein Schicksal durch seine eigenen Handlungen, und innerhalb dieses Gesetzes ist er absolut und bedingungslos frei.

Der Mensch ist keiner äußeren geistigen Autorität oder Macht unterworfen. Jegliche Religion, die auf Furcht vor oder dem Wunsch nach Begünstigungen von einem äußeren Gott basiert, ist falsch.


16. Es gibt eine geistige Alchemie, durch die gegensätzliche Kräfte, die aus selbstsüchtigen Handlungen entspringen, verringert oder sogar aufgelöst werden können, und zwar durch bewusste Aktivierung von Energien und das In-Kraft-Setzen von Taten, die durch Liebe motiviert sind.

Liebe ist der wahre Stein der Weisen, und das Dienen ist der alchemistische Prozess, durch den niedere menschliche Eigenschaften und die Schmerzen des Leidens in das reine Gold geistiger Kraft und geistigen Glücks verwandelt werden können.


17. Diese Alchemie des Geistes kann bei der Heilung von Krankheit und Leiden selbst praktiziert werden. Sie ist die wahre Wissenschaft geistigen Heilens!


18. Der Prozess der Umwandlung von Defiziten in der Natur des Menschen in ihre vollkommenen Gegenstücke kann bewusst angewandt werden, um den Evolutionsprozess zu beschleunigen.

Das Ziel der Vervollkommnung, das alle Menschen in weit entfernter Zukunft erwartet, kann damit in vergleichsweise kurzer Zeit erreicht werden.


19. Diese spirituelle Lebensführung bildet den kurzen und schmalen Pfad im Christentum, den edlen achtfachen Pfad im Buddhismus und den Pfad auf des Messers Schneide im Hinduismus. Es ist der Weg zum Heil, zu Nirvana oder zur Befreiung.

Das Leben Christi, wie es in den Evangelien geschildert wird, ist eine dramatische Darstellung der Erfahrungen der Seele auf diesem Pfad.

Die Bergpredigt, die Lehren Buddhas und die Bhagavad Gita beschreiben jene Lebensführung, die notwendig ist, um Vollkommenheit zu erreichen.


20. Der Pfad geistiger Entfaltung ist heute wie in den alten Tagen offen. Er kann nur beschritten werden durch die Reinheit des Lebens und ein selbstloses Dienen dem göttlichen Willen gegenüber. Es ist der Weg, der zu Gesundheit, Glück, Vollkommenheit und ewigem Frieden führt.


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Autor: Ch. W.