Leben und Wirken Erhard Bäzners

Ein Nachtrag zum biographischen Versuch über seine Kindheit und Jugend
 
Reiner Ullrich
 
 
 
 
Einen Menschen wie Erhard Bäzner ange­messen zu würdigen ist nicht leicht. Der in den letzten fünf Heften dieser Zeitschrift abgedruckte Versuch konnte und sollte dies nicht leisten, denn er befasste sich nur mit einem Abschnitt seines Lebens, wenn auch mit einem nicht unwichtigen.
 
 
 
Zunächst sei kurz skizziert, wie Erhard Bäzners Leben weiter verlief:

Goldschmied in Pforzheim, Postbeamter in Weilburg

Nach Abschluss seiner Goldschmied-Lehre in Pforzheim machte er sich dort bald selbständig und wurde ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges achtundzwanzig Goldschmiede be­schäftigte. Durch den Pforzheimer Bankkrach am 1. August 1914 brach dieses Geschäft (wie viele andere in Pforzheim) zusammen. Aus Verzweiflung dar­über und angesichts des Schuldenberges, der sich (von ihm unverschuldet) binnen eines Tages vor ihm aufgetürmt hatte, meldete er sich als Kriegsfrei­williger, wurde wegen seiner Rückenverletzung natürlich abgelehnt und fand bei der Post in Weilburg an der Lahn eine Anstellung.

Vortragsredner und Schriftsteller

Nach dem Ende des Krieges übersiedelte er nach Leipzig, um am dortigen Hauptquartier der Internationalen Theosophischen Verbrüderung (der von seinem Lehrer Franz Hartmann 1897 gegründeten Theosophischen Gesell­schaft) mitzuarbeiten. Auf Anregung von Robert Syring in Hohenwarthe bei Magdeburg, bei dem er 1920 einige Monate wohnte und während dieser Zeit die erste Fassung seines Totenbuches3 schrieb, schickte ihn der Vorstand der ITV auf Vortragsreisen kreuz und quer durch Deutschland und ins deutsch­sprachige Ausland. Nicht selten war er bis sechs Wochen ununterbrochen unterwegs. Dazwischen fand er Zeit für einen immer stärker wachsenden Briefwechsel und für das Verfassen seines Buches über die „Naturgeister"4 und die Ausarbeitung der erweiterten Fassung des Totenbuches5. Er nahm regelmäßig an den Sommerschulen der ITV in Bad Berka (in der Nähe von Weimar) teil und hielt dort Vorträge, ebenso an den Sommerschulen in Dan-zig und in Gablonz in Nordböhmen - bis die sich festigende Naziherrschaft die Arbeit aller in Deutschland tätigen Theosophischen Gesellschaften im­mer mehr erschwerte und schließlich ganz unmöglich machte.

Berufsverbot unter Hitler - Angestellter der Forstverwaltung

Als Schriftsteller von den Nazis mit Berufsverbot belegt, fand er (seit 1920 mit Gertrud geb. Ebersbach verheiratet und seit 1937 Vater eines Sohnes) Arbeit bei der staatlichen Forstverwaltung, in der er, nicht zuletzt wegen seiner deutlichen Handschrift, bis ins Forsteinrichtungsamt in Dresden auf­stieg. (In die sächsische Landeshauptstadt war er 1922 übersiedelt.) Nach der Zerstörung Dresdens, die er im unversehrt gebliebenen Vorort „Weißer Hirsch" miterlebte, baute er zusammen mit dem (von der sowjetischen Be­satzungsmacht seines Amtes enthobenen, aber zur Weiterarbeit verpflich­teten) Landesforstmeister die Landesforstverwaltung neu auf.

Theosophischer Neuanfang nach dem Kriege

Von den sowjetischen Besatzungsbehörden bekam Erhard Bäzner die Geneh­migung zur Neugründung der Theosophischen Gesellschaft, zunächst nur für die Stadt Dresden, aber schließlich über Zwischenschritte für die ganze Sow­jetische Besatzungszone. Die Resonanz war mehr als ermutigend: binnen kurzem seien mehr als fünfhundert Mitglieder beigetreten. Aber die Blüte war von kurzer Dauer. Als 1949 die DDR entstand, sorgte sie mit deutscher Gründlichkeit für eine Ordnung in ihrem Sinne: Alle Vereine mussten sich neu registrieren lassen, bevor sie weiterarbeiten durften - die TGD wurde nicht registriert; sie war nicht verboten, aber auch nicht erlaubt.
 
1952 erreichte Erhard Bäzner das Rentenalter und übersiedelte mit seiner Frau (der Sohn war 1947, durch Hunger geschwächt, an Diphtherie gestor­ben) legal in seine Heimat Enzklösterle, von wo aus er, trotz Alter und Ge­brechlichkeit, auch wieder Vortragsreisen unternahm. Vor allem belebte er die Tradition der Sommerschulen neu, nun unter dem Namen „Ferienge­meinschaft". Zehneinhalb Jahre waren ihm für diese Tätigkeit, zu der auch der große Briefwechsel und die Mitarbeit an der Zeitschrift Das höhere Leben6gehörten, noch vergönnt. Außerdem erschien die völlig neu bearbei­tete dritte Fassung seines Totenbuches7.

Erhard Bäzners Leistung für die Theosophische Gesellschaft

Dieser Überblick deutet einiges von dem an, was Erhard Bäzner für die Theosophische Gesellschaft geleistet hat - am herausragendsten seine Vortragstätigkeit. Wenn die Mitgliederzahl der ITV in der Zeit zwischen 1921 und dem Beginn der Hitlerherrschaft bis über zweitausend stieg (genaue Zahlen dürften kaum mehr zu ermitteln sein - sämtliche Akten wurden ja beschlagnahmt!), dann ist das größtenteils sein Verdienst. Was er über Tod und Wiederverkörperung zu sagen hatte, war damals in der breiten Öffent­lichkeit so neu und sensationell, so unerhört in einer kirchlich-gläubigen oder wissenschaftlich sein sollenden (nämlich positivistisch-materialistischen) Umwelt, dass viele Menschen die Worte Erhard Bäzners als ein Evan­gelium aufnahmen. Sie strömten nicht nur in großer Zahl in seine Vorträge, sie fühlten sich auch von der Richtigkeit des Gehörten überzeugt - anders als die Menschen ein paar Jahrzehnte später, als Reinkarnation und Karmagesetz vielen schon bekannt waren und in immer weiteren Kreisen popularisiert wurden.

Wirkung seiner Vorträge auf die Zuhörer

Gewiss halfen Erhard Bäzner seine hellseherischen Fähigkeiten, in seinen Vorträgen über „Jenseitiges" aus voller Überzeugung zu sprechen, insbeson­dere auch auf Fragen seiner Zuhörer einzugehen - nicht erst, wenn diese in der auf den Vortrag folgenden Fragenbeantwortung mündlich geäußert wurden, sondern vorher schon, wenn sie „im Raume standen", d. h. wenn Erhard Bäzner sie in den Gedankenformen der Zuhörer entstehen sah: daher der von vielen seiner Hörer berichtete Eindruck, Bäzner hätte ganz persön­lich zu ihnen gesprochen. Dass er im persönlichen Umgang das seit seiner Kindheit geübte Schweigen über die Fülle seiner Wahrnehmungen bewahrte, mag zu der Hochschätzung, die er bald überall genoss, wo er hinkam, ebenso beigetragen haben wie sein bescheidenes, unauffälliges Auftreten und sein köstlich sprudelnder Humor (mit einem Schuß Selbstironie!), die nichts von dem ahnen ließen, was in ihm vorging und was ihn eigentlich bewegte.

Informationen über Okkultes

Gegenüber führenden Mitarbeitern der Theosophischen Gesellschaft hat er sich (zumindest anfangs) nicht so streng zurückgehalten, denn er glaubte, dass alle, die sich für die Theosophie viel mehr als andere einsetzen, auch im­stande wären, ungefilterte Mitteilungen von dem, was er wahrnahm, aufzu­nehmen und sinnvoll einzuordnen. Wo Erhard Bäzner annehmen durfte, dass Fragen nach „Okkultem" nicht aus bloßer Neugier gestellt wurden, hat er anscheinend in den frühen Leipziger und Dresdener Jahren bereitwillig ge­antwortet - und hat dies später immer mehr bereut: hatte er doch der Phantasie etlicher Menschen Stoff geliefert zum Zerfasern und Neuspinnen, der sich in ihren Gemütern selbständig machte. Dadurch wurde nicht weni­ges an den Namen Bäzner geklebt, das er gar nicht gesagt oder ganz anders gemeint hatte: „okkulter Tratsch". In seinen letzten Jahren schwieg er eisern, und sein „mhm" auf Fragen, ob eine Information über „Okkultes" stimme oder nicht, wurde notorisch.

Aufgabe der „Sommerschulen "

Vielleicht lässt sich, was Erhard Bäzner für die Theosophische Gesellschaft anstrebte und was ihm ansatz- und zeitweise auch gelungen zu sein scheint, am besten veranschaulichen an den von ihm maßgeblich geprägten „Som­merschulen" (oder, später, „Feriengemeinschaften"): Was von außen (in der Rückerinnerung mancher Teilnehmer) als gepflegte Geselligkeit eines Kreises seit langem freundschaftlich verbundener Menschen erscheinen mochte - versehen mit einem kräftigen Schuss „Moralinsäure", aber nur bescheidener intellektueller Würze -, hatte in der Erhard Bäzner offenbaren Wirklichkeit ein ganz anderes Ansehen. Ihm kam es darauf an, die Gemüter der Menschen zu reinigen, zu erheben, empfänglich zu machen für das, was von „oben" einströmt. Als Voraussetzung dafür galt ihm vor allem „Gedan­kenbeherrschung", aber nicht eine, die durch krampfhafte Anstrengung die notwendige Ordnung im Fühlen und Denken zu erzwingen versucht, sondern eine, die sich ganz natürlich „von selbst" ergibt, wenn sich der Mensch dem höchsten ihm zugänglichen Idealen öffnet. Dies zu befördern dienten die Vorträge und Gespräche - die im Programm vorgesehenen und die zwanglo­sen während nachmittäglicher Spaziergänge -, und wenn dann, nach einer knappen Woche, die Teilnehmer sich aufeinander eingestimmt hatten, lenk­ten Erhard Bäzners Vorträge, die dann immer deutlicher um den eigentlichen Zweck theosophischer Arbeit kreisten, die Aufmerksamkeit in jene Weiten, in welchen wahrhaft theosophisches Streben sein Ziel findet. Ein solches Ziel ist weit jenseits dessen, was sich in Worten ausdrücken lässt, und des­halb deutete es Erhard Bäzner höchstens an, während er die Aufgaben auf dem Wege dorthin desto ausführlicher und klarer umriss, die Idealbilder voll­endeter Menschen, der „Meister der Liebe und Weisheit" und ihrer Schüler und Jünger in leuchtenden Farben schilderte - die Zuhörer behutsam an der Hand nehmend für erste Schritte auf einem langen und steilen Pfade. Nicht jeder Entschluss, in solchen weihevollen Stunden gefasst, mag sich als be­ständig erwiesen haben, aber ein einmal versuchter Anlauf wird bei erneutem Anstoß erleichtern und fruchtbarer werden lassen, was beim ersten Mal große Anstrengungen kostete.

Tempel aus Licht

Kulturelles Wirken - Konzerte, Theateraufführungen, Gottesdienste usw. -prägt sich den Gemütern der Menschen ein, hallt in ihnen nach, vielleicht jahrelang. Für Erhard Bäzner „objektivierte" sich dies in seinen Wahrneh­mungen: Tempel aus Licht erhoben sich für ihn über solchen Stätten und überdauerten lange Zeit. So sah er auch über den Gebäuden, in welchen die Sommerschulen stattgefunden hatten, noch nach Jahren solche Lichterschei­nungen. Sie wuchsen während der Veranstaltungen immer höher und heller empor und bildeten Inseln der Harmonie, der Klarheit und des Friedens in­mitten einer chaotische(re)n Umwelt. „Entgegen" wuchs ihnen „von oben", aus Spären, in denen „unbekannte, höhere Wesen" zu Hause sind, ein Licht, das schließlich mit dem „von unten" emporwachsenden zusammenströmte und eine „Atmosphäre" schuf, die allem Guten, Wahren und Schönen förder­lich war.
 
Denen, die dies nicht wie Erhard Bäzner „objektiv" wahrnehmen konnten, fiel vielleicht auf, wie viel leichter als sonst sie z. B. auch verwickelte Ge­dankengänge zu fassen oder nachzuvollziehen imstande waren.

Charisma

Erhard Bäzner war innerhalb der Theosophischen Gesellschaft, der er bis zu seinem Heimgang angehörte, eine „charismatische Persönlichkeit", aber nie hat er dies betont, ja auch nur darauf angespielt. Er hatte Autorität im besten Sinne, aber nie hat er sie beansprucht. Er hat auch von denen, die in der Theosophischen Gesellschaft Verantwortung trugen, nie mehr erwartet, als was sie selber als richtig und notwendig einsahen, das heißt, er hat - um deren Selbständigkeit zu schonen und zu stärken - nie etwas geboten oder verboten, und er nahm dafür in Kauf, dass er geduldig warten musste. Was ihm als Ideal vorschweben mochte, lässt sich, vor allem in Gemeinschaft, äußerst selten in absehbarer Zeit verwirklichen.
 
Verstiegener Idealismus, Weltfremdheit? Ersteres nein, sondern nüchtern­klarer Realismus, letzteres in gewissem Sinne ja; denn das „Reich", dem er dienen wollte, ist „nicht von dieser Welt". Er war uns „ein Vorbild jener geahneten Wesen", denen wir - nach Goethes Gedicht „Das Göttliche" - glei­chen sollen. Sein Beispiel lehrte uns, „jene zu glauben": Vertrauen zu schöp­fen in ordnende und heilende Kräfte „über" uns, einerlei, wie wir sie uns vorstellen mögen.
 
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Der Gestapo-Beamte, der Erhard Bäzner 1941 nach dessen Festnahme verhörte, begann die Vernehmung mit den Worten: „Sie sind also der große Theosoph ..."
Erhard Bäzner: „Nein" - „So??" - „Ich will erst einer werden." - „Das werden wir Ihnen austreiben!"
Die Gestapo hatte damit keinen Erfolg.

Heimgang

Erhard Bäzner durfte seinen irdischen Körper am 19. März 1963 ablegen. Er hatte sich vierzehn Tage vorher bei einer Beerdigung erkältet und genas von dieser Erkrankung nicht mehr. Das hohe Ansehen, das er in seiner Heimat­gemeinde genoss, zeigte sich beim Abschiedsgottesdienst in Enzklösterle. Der Altarraum der Dorfkirche war ein Meer von Blumen und Kränzen, in deren Mitte der Sarg stand - Erhard Bäzner war der erste Bürger seiner Gemeinde, dem die Ehre der Aufbahrung in der Kirche zuteil wurde. Die Trauergemeinde, zu der selbstverständlich auch seine theosophischen Freunde aus ganz (West-) Deutschland und Berlin gehörten, füllte den Kir­chenraum bis auf den letzten Platz; die Ansprache hielt der evangelische Pfarrer. Wenige Stunden später versammelten sich im Krematorium Pforz­heim vor allem die theosophischen Freunde noch einmal, und die Anspra­chen würdigten Erhard Bäzners Arbeit in der theosophischen Bewegung. Als die Urne auf dem Waldfriedhof in Dresden (Ortsteil Bad Weißer Hirsch) im Grab seines Sohnes beigesetzt wurde, hatten dann die Freunde in der DDR Gelegenheit, zu einer Feier zusammenzukommen.
 
Für alle, die Erhard Bäzner verehrt und geliebt hatten, die seinem Vorbild und seinem behutsam erteilten Rate gefolgt waren, begann eine neue Zeit. Und was er knapp acht Jahre vorher in ein Gästebuch schrieb, zeigte sich uns nun in einem bedeutsameren Licht:
 
„Wie das Weltall nur eine vorübergehende Erscheinung ist, eine aus der Tiefe des Raumes aufgestiegene Seifenblase, welche entsteht und vergeht, aber im Urgrund eine ewige Wurzel hat, und wie der Mensch, die kleine Welt, auf Erden nur ein Wanderer ist, der am Morgen seine Reise antritt und sie am Abend auf einige Zeit unterbricht, aber in allen Geschöpfen durch das Band des Geistes verbunden ist, - so war auch ich bei Euch ein Gast, der Eure Gastfreundschaft genoss und Euch herzlich dankt, der aber mit Euch durch das Band der Liebe verbunden bleibt, in alle Ewigkeit, auch wenn der Körper an anderen Orten weilt.
 
Euer Erhard."
 
3 Wo sind die Toten und sehen wir sie wieder, Leipzig (Theosophischer Kultur-Verlag)
 
4 Die Naturgeister Aus dem Reiche der Gnomen/Nixen/Sylphen/Salamander und Sturmgeister; Leipzig (Theosophischer Kultur-Verlag) 1924
 
5 Wo sind die Toten? Sehen wir sie wieder? Eine Abhandlung über Tod und Wiederverkörperung; Leipzig (Theosophischer Kultur-Verlag) - Zweite, veränderte und erweiterte Auflage 1927
 
6 Etliche Artikel und von 1955 an in jedem Heft eine „Fragenbeantwortung"; die meisten auch als Sonderdrucke separat erschienen (Ullrich-Verlag, Calw).
 
7 Der Tod - und was dann? Eine Abhandlung; Calw (Ullrich), 1953
 
 
 


Autor: Reiner Ullrich