Manas
W. Q. Judge
Das fünfte Prinzip heißt in der von Mr. Sinnet vorgenommenen Einteilung Manas, gewöhnlich mit Verstand (Gemüt) übersetzt. Auch andere Namen wurden diesem Prinzip gegeben; es ist jedoch der Wisser, der Erkenner, der Denker. Das sechste Prinzip ist Buddhi, die geistige Unterscheidungskraft. Das siebte Prinzip ist Atman oder Geist, der Strahl aus dem absoluten Sein. Die englische Sprache reicht teilweise für eine Beschreibung von Manas aus, aber nicht für Buddhi oder Atman. Vieles kann sie nicht ausdrücken, was über Manas gesagt werden könnte.
Die Evolution entwickelte die niederen Prinzipien und schuf schließlich die Gestalt des Menschen, mit einem Gehirn, das eine bessere und größere Kapazität aufwies als die jeden anderen Tieres. Dieser menschenförmige Mensch war jedoch noch kein denkender Mensch. Er benötigte das fünfte Prinzip, das Denkvermögen, das Wahrnehmungsvermögen, damit er die volle Trennung vom Tierreich herbeiführen und die Fähigkeit des Selbstbewußtseins erlangen konnte. Die Monade war in diese Formen eingeschlossen, und diese Monade besteht aus Atman und Buddhi. Ohne die Gegenwart der Monade könnte die Evolution nicht stattfinden. Wenn wir uns für einen Augenblick an den Punkt zurückversetzen, an dem die Menschheit noch ohne Verstand war, ergibt sich die Frage: „Wer gab den Verstand, wo kam er her, und was ist er?" Er ist das Verbindungsglied zwischen dem Geist Gottes oben und dem Persönlichen unten; er wurde den verständnislosen Monaden von anderen gegeben, die den ganzen Evolutionsprozeß schon vor unvorstellbaren Zeiten auf anderen Welten und in anderen Weltsystemen hinter sich gebracht hatten. Er kam daher aus anderen Evolutionsperioden, die lange vor der Entstehung unseres Sonnensystems begonnen und vollendet worden waren. So lautet die Theorie, die heute seltsam und unannehmbar erscheinen mag; sie muß aber geäußert werden, wenn wir die Wahrheit über die Theosophie sagen wollen. Es handelt sich bei ihr einfach um die Weitergabe dessen, was andere vor uns gelehrt haben.
Die Methoden, nach der das Licht des Verstandes anderen, nicht mit Verstand begabten Menschen vermittelt wurde, kann veranschaulicht werden durch das Anzünden vieler Kerzen mit einer einzelnen Kerze. Mit einer brennenden Kerze können viele noch nicht brennende Kerzen angezündet werden. So ist es auch mit Manas. Er ist die brennende Kerze. Die verständnislosen Menschen mit ihren vier Elementarprinzipien Körper, Astralkörper, Lebenskraft und Verlangen entsprechen den nicht angezündeten Kerzen, die sich nicht selbst anzünden können. Die Söhne der Weisheit — die Älteren Brüder einer jeden Menschenfamilie auf irgendeinem Globus — erhielten das Licht von anderen, die in noch frühere und noch weiter zurückliegende Zeiten zurückreichen, in einer Aufeinanderfolge ohne Anfang und Ende. Sie gaben den vier niedrigen Prinzipien und der Monade das Feuer und entzündeten auf diese Weise in dem neuen Menschen Manas.
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Manas oder der Denker ist das reinkarnierende Wesen, das Unsterbliche, das alle Ergebnisse und Werte der verschiedenen auf der Erde und anderswo gelebten Leben in sich speichert. Manas wird in seiner Natur dual, sobald es sich mit einem Körper verbindet. Weil das menschliche Gehirn ein höheres Organ ist, wird es von Manas benützt, um aus Voraussetzungen Schlußfolgerungen zu bilden. Das unterscheidet auch den Menschen vom Tier, denn das Tier handelt automatisch nach sogenannten instinktiven Impulsen, während der Mensch den Verstand gebrauchen kann. Dieser Verstand ist der niedrigere Aspekt des Denkers oder des Manas und nicht, wie manche angenommen haben, die höchste und beste Begabung des Menschen. Der andere, in der Theosophie viel höher bewertete Aspekt des Manas ist der intuitive Aspekt, der unabhängig vom Verstand erkennt. Das niedere und rein Intellektuelle steht dem Prinzip des Verlangens am nächsten und unterscheidet sich dadurch von seinem anderen Aspekt, der eine Anziehung zu den oberen, geistigen Prinzipien hat. Wenn also „der Denker" völlig im Intellekt aufgeht, ergibt sich für den ganzen Menschen eine abwärts gerichtete Tendenz: denn der isolierte Intellekt ist kalt, herzlos, selbstsüchtig, weil er nicht durch die beiden anderen Prinzipien, Buddhi und Atman, erleuchtet wird.
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Da Manas, während es im Körper ist, fortwährend durch das Begierdenprinzip getäuscht wird, kann es auch nicht verhindern, daß die Kräfte auf es einwirken, die während der Lebenszeit erzeugt werden. Diese Kräfte werden von Manas erzeugt, das heißt, durch das Denken im Lauf des Lebens. Jeder Gedanke bildet eine physische und eine mentale Verbindung zu dem Wunsch, in dem er wurzelt. Alles Leben ist von solchen Gedanken erfüllt, und wenn die Ruheperiode nach dem Tod beendet ist, ist Manas auf Grund der Gedanken des vergangenen Lebens durch zahllose elektromagnetische Fäden mit der Erde verbunden. Und daher auch durch Verlangen, denn es war Verlangen, das so viele Gedanken erzeugte und Unwissenheit über die wirkliche Natur der Dinge. Die Kenntnis dieser Lehre, daß der Mensch wirklich ein Denker und aus Gedanken gemacht ist, wird alle übrigen Zusammenhänge mit Inkarnation und Reinkarnation klären. Der Körper der inneren Menschen ist aus Gedanken aufgebaut. Da dies so ist, folgt daraus, daß die Rückkehr zum Leben hierher unvermeidlich ist, wenn die Gedanken eine stärkere Anziehung zum irdischen Leben haben als woandershin.
Gegenwärtig ist Manas in der Menschheit noch nicht voll aktiv, da das Verlangen noch an oberster Stelle steht. Im nächsten Zyklus der Menschheitsperiode wird Manas in der ganzen Menschheit voll aktiv und ganz entwickelt werden. Deshalb sind die Menschen der Erde auch noch nicht an dem Punkt angelangt, wo sie sich in bezug auf den einzuschlagenden Weg bewußt entscheiden müssen; wenn aber in dem erwähnten Zyklus Manas aktiv ist, dann werden alle gezwungen sein, bewußt die Wahl zwischen links und rechts zu treffen. Der rechte Pfad führt zur völligen und bewußten Vereinigung mit Atman; der linke zur Vernichtung der Wesen, die diesen Pfad vorziehen.
„Das Meer der Theosophie", Theosophical University Press
Autor: W. Q. Judge