Nationalsozialismus und Theosophie
Teil 3
Frank Reitemeyer,
Theosophisches Centraiarchiv
Wir schließen hiermit an zwei frühere Artikel von Hans Beetz1 zum
Thema an und werden nunmehr fortlaufend, jedoch fragmentarisch Dokumente,
Zeugenaussagen und Meinungen über die Zeit der Verfolgung der Theosophinnen und
Theosophen im Dritten Reich veröffentlichen.
Die vollständige Geschichte der weltweiten Theosophischen Bewegung ist, von
Teildarstellungen abgesehen, bekanntlich noch nicht geschrieben. Gleiches gilt
für den deutschen Sprachraum. Die Zeit des Dritten Reiches im Zusammenhang mit
der Theosophischen Bewegung wurde bisher fast ausschließlich von Gegnern der
theosophischen Kulturarbeit oder schlecht informierten und mit Vorurteilen
belasteten Autoren behandelt, wobei zumeist auf Sachlichkeit und Kompetenz
verzichtet wurde. Der schon allein deshalb notwendigen Historisierung des
Themas und der Wunsch von ernsthaften Forschern nach mehr Sachlichkeit waren
bislang jedoch durch unzureichende Quellenlage Grenzen gesetzt.
Der Verfasser befasst sich seit acht Jahren intensiv mit dem Thema und hat
auf mehreren Forschungsreisen und durch umfangreiche Recherchen in Archiven
Materialien zusammen getragen, die nunmehr sukzessive der Öffentlichkeit und
der Forschung zugänglich gemacht werden, wobei es sich bei den meisten
Dokumenten um weltweite Erstveröffentlichungen handelt. Die Artikelserie ist
nicht als das Ende der Untersuchung von Nationalsozialismus und Theosophie zu verstehen, sondern
als deren Anfang, der auch andere Autoren und vor allem Zeitzeugen zu weiteren
Beiträgen anregen soll. Ein seriöser Autor wird jedoch zukünftig nicht auf das
in dieser Serie präsentierte Quellenmaterial verzichten können und wollen.
Schon H.P. Blavatsky hat auf staatliche Verfolgungen in verschiedenen
Ländern hingewiesen. So schreibt sie in einem Brief an eine Gruppe in London
u.a.:
„MEINE lieben Kameraden: Es besteht eine ununterbrochene Verkettung zwischen
Ursache und Wirkung — ein Nidana, das Gesetz von Ursache und Wirkung — im Leben
eines jeden Theosophen, wenn nicht gar eines jeden Mitgliedes unserer
Gesellschaft. Keiner scheint die wirklich innere Natur der Theosophischen
Gesellschaft zu ahnen, die unsterblich ist, versuchten auch Oxford,
Cambridge2, und die öst[er]reichische, deutsche und russische
Geheimpolizei3 sie zu untergraben. Einzelne Zweige mögen eingehen, aber der Mutterstamm — ob nun in Adyar oder am Nordpol — kann
niemals vernichtet werden, denn er ist der Nährboden und die Schatzkammer der
Gesellschaften im zwanzigsten Jahrhundert. " 4
Diese Aussage der „Mutter der TG" ist besonders pikant, da seit Anfang
des Jahres Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei in Wien
gegen einen Wiener Buchhändler wegen Verbreitung von HPBs Hauptwerk Die
Geheimlehre laufen. Die Gegner der Theosophie versuchen demnach
mittlerweile — da sie offenbar keine Sachargumente haben — die österreichischen
Behörden in ihre Hetze einzubeziehen, eine Entwicklung, die sich dort bereits
seit Jahren abzeichnet.5
Verfolgungen von Regierungen (und parallel dazu auch der Jesuiten im Westen
und der Brahmanen im Osten), denen das theosophische Ideal, wie es in ihren
bekannten Zielen formuliert ist, ein Dorn im Auge ist, begleiten die TG demnach
von Anbeginn ihrer Gründung. Niemals wurden sie jedoch so rücksichtslos,
systematisch und „erfolgreich" durchgeführt wie im Dritten Reich:
Beschattungen, Verhaftungen, Verhöre, Misshandlungen, Verbote, Konfiszierungen
und Vernichtung. Die nachfolgende Erstveröffentlichung der Abschrift6
eines von der Gestapo erzwungenen Rundbriefes der TG Dresden erfolgt verbatim
et literatim:
Findeliste wurde im März 2000 von Daniel
Caldwell in seinem Blavatsky Archives Online veröffentlicht: http://sites.netscapes.net/dhcblainfo/index.htm
Die vielleicht aufschlußreichsten Bespitzelungsakten (einschließlich Dokumente
über Maßnahmen) dürften erfahrungsgemäß bei den Jesuiten (SJ) in Rom, London
und andernorts zu suchen sein. Da diese natürlich nicht zugänglich sind,
entziehen sie sich der Forschung - es sei denn, die Ereignisse in der
Normannenstraße (Öffnung der Archive der Stasi) wiederholen sich einmal.
1 Hans Beetz: Theosophie im ,Dritten Reich', Theosophie heute, Heft
2/1997, 57-61 und ders.: ,Theosophische Gesellschaft in Deutschland' in der
Gegenwart, Theosopie heute, Heft 3/1997, 101-102.
2 Gemeint sind die Gelehrten jener berühmten Universitäten. Jedoch
hatte sie unter diesen auch Anhänger, von denen einige sogar Mitbewohner ihres
Londoner Hauptquartiers und enge Mitarbeiter wurden, z. B. Archibald und
Bertram Keightley und G. R. S. Mead.
3 In ihrer russischen Heimat waren ihre Schriften sowohl in der
Monarchie (bis auf einen kurzen Zeitraum von 10 Jahren von 1908 - 1917; vgl
Sylvia Cranston: HPB -Leben und Werk der Helena Blavatsky, Satteldorf 1995,
636, engl. 547, s.a. A. P. Sinnet: Incidents in the Life of Madame Blavatsky,
London, Redway 1886, 138 Fn., aktueller Nachdruck: Kila, Kessinger o.J.), als
auch unter den Kommunisten von 1917 - 1990 verboten. Auch im kaiserlichen
Deutschland wurden die theosophischen Bemühungen um universale Bruderschaft mit
Misstrauen beobachtet und mündeten während des 1. Weltkrieges 1915 in
schikanöse Beschränkungen und Bücherverbote durch das Kriegspresseamt in
Leipzig und der dortigen Kriminalpolizei.
Frau Blavatsky hätte im zitierten Brief
durchaus auch den britischen Geheimdienst anführen können, denn auch dieser
interessierte sich für Theosophie - sicherlich war ihr diese Tatsache bekannt,
denn auch Präsident H. S. Olcott erwähnte diese Überwachung in seinen Old Diary
Leaves. HPB scheint die Erwähnung hier absichtlich vermieden zu haben, um keine
zusätzlichen Konfrontationen mit der indischen Kolonialmacht herauf zu
beschwören. Die Akten des Special Intelligence Service (SIS) über die TG in
Indien wurden erst 1993 in der British Library für die Theosophische Bewegung
entdeckt.
Ein Bericht darüber (Records of the British
Government's Surveillance of Theosophical Society Personalities and Others in
the Oriental and India Office Collections of The British Library (OIOC). An
introduction by Anthony Hern) mit
4 Aus: The Searchlight (Point Loma, Kalifornien) 1911, 114 (Deutsch
und Hervorh. i. O.; ein Briefdatum ist nicht angegeben).
5 Näheres dazu: [Bruce MacDonald:] Editorial: Cycles: A Return to
the 1930s?, in: Fohat, Summer 2000 (Edmonton Theosophical Society, Kanada).
Eine deutsche Übersetzung wird im Rahmen dieser Serie erscheinen.
6 Original im Archiv der Theosophischen Gesellschaft, AK
Unterlengenhardt. Mit freundlicher Genehmigung. Kopie beim Verfasser.
Autor: Nicole Scheffler [TGD]