Organspende als Opferhandlung
Allerdings: In dem Tibetischen Buch vom Leben und vom Sterben aus dem Jahr 1992 heißt es auf die Frage: „Sollte man im Todesfall Organe spenden? Was passiert, wenn sie entfernt werden müssen, solange das Blut noch zirkuliert oder bevor der Sterbeprozess vollständig abgeschlossen ist? Stört oder schädigt das nicht das Bewusstsein im Moment vor dem Tod?“
Die Antwort, die Sogyal Rinpoche von den Meistern erhielt: [Diese]“sagen übereinstimmend, dass eine Organspende eine äußerst positive Handlung ist, und weil sie dem ernsthaften und mitfühlenden Wunsch des Sterbenden entspricht, wird die Organentnahme dem Bewusstsein, das den Körper verlässt, nicht schaden. Im Gegenteil – diese letzte Handlung der Großzügigkeit trägt zur Ansammlung von gutem Karma bei. Ein anderer Meister sagte, dass jegliches Leid und alle Schmerzen, die ein Mensch durch die Organspende und im Verlauf der Operation leidet, sowie jeder Moment der damit verbundenen Ablenkung oder Störung sich in gutes Karma verwandeln wird.“ [22]Das ist ein Zitat aus „h Tibetisches Buch vom Leben und vom Sterben.
Jeder hat die Freiheit, sich als Organspender zur Verfügung zu halten – aber dies setzt eine ehrliche Aufklärung über das Geschehen in der Transplantationsmedizin voraus. Davon ist man in der heutigen Zeit weit entfernt. Politisch zugelassen werden dürfte damit auf keinen Fall die so genannte Widerspruchslösung.
Fazit
Innerhalb der Transplantationsmedizin werden von Kritikern Fragen zu den Komplexen gestellt:
– Fehlerquellen in der Hirntod-Diagnostik – Feststellung des Ganzhirntodes über die Areflexie ist fraglich, - Genaue Abgrenzung von Bewusstlosigkeit, Koma, Hirntod, und Hirnzerstörung fehlt.
Völlig ungeklärt ist die Situation des Spenders. Was geschieht innerlich im Spender? Hat er Bewusstsein? Hat er Schmerzen?
Mit Blick auf den Organempfänger scheint es, dass eine Reihe von ihnen ein „besseres“ Leben führen kann als vor der Transplantation. Ein Leben, nicht wie ein gesunder Mensch, aber ein verbessertes Leben. Will man dies einem Menschen verwehren? Will man dieses – zwar eingeschränkte – Leben, aber ein Weiterleben dem Organempfänger nicht verwehren, ja ihm wünschen, wie soll man dann angesichts der Einsicht in die möglichen existentiellen Nöte des Spenders entscheiden?
Wir wissen aus der Theosophie:
– Der Tod des Gehirns ist nicht der Tod des Bewusstseins
– Das Sterben, der Weg zum Tod, ist ein Prozess
– Eine Intervention in diesen Prozess könnte massiven Stress bedeuten und eine Verdichtung des Lebensgehaltes zur der spirituellen Essenz behindern. Diese spirituelle Essenz, das Substrat eines Lebens, ist der Ausgangspunkt für den Entwurf der nächsten Inkarnation und dem, was in ihr weiter zu lernen sein wird. Über die Organspende kann nicht die jetzige Inkarnation gegen die zukünftige ausgespielt werden – beide sind mindestens gleich wichtig und gleichwertig.
– Aus der Sicht der Theosophie fragen wir: Was ist die Ganzheit eines Körpers beim Ableben? Lebt die Seele nicht auch in den einzelnen Organen? Kann die Seele „frei“ werden, wenn Teile des Körpers weiterleben – in einem anderen Menschen?
Eine Entscheidung für oder gegen die Organspende zu treffen, heißt, sich in eine Aporie zu begeben, eine Ratlosigkeit hinsichtlich der richtigen Entscheidung über Widersprüche zwischen materiellem Verhaftetsein und spirituellem Streben, Erdgebundensein und Gottessuche, Diesseits und Jenseits und dem Bedenken der nachfolgenden Inkarnationen.
Ein jeder steht da auf der Treppenstufe seiner Entwicklung und muss selbst entscheiden.
[22] Op. cit. S. 447.
Autor: Dr. Ruth C. Fischer