Psychische Kräfte

Dr. G. v. Purucker

Die psychischen Kräfte sind die niedersten Kräfte der Zwischen ­oder Seelen-Natur des Menschen, und wir gebrauchen sie unaufhör­lich — und können sie nicht einmal richtig beherrschen! Das Gefühls­leben des Menschen ist sehr schwankend, umherschweifend, haltlos, ungewiß. Der Durchschnittsmensch kann nicht einmal seine Empfin­dungen und Gedanken im Griff seines selbstbewußten Willens behal­ten. Seine geringsten Leidenschaften reißen ihn mit sich fort. Diesem Teil seiner Natur entströmen seine „psychischen Kräfte". Es ist die Aufgabe des Menschen, sie zu verwandeln und sie einem Zwecke nutzbar zu machen, welcher gut und heilig ist. In der Tat, der Durch­schnittsmensch kann die gewöhnlichen psycho-astral-physischen Kräf­te, welche er täglich gebraucht, nicht beherrschen; und wenn man die Leute über die „Entwicklung okkulter Kräfte" reden hört, womit sie lediglich die „psychischen Kräfte" meinen, so kann man hieraus einfach entnehmen, daß sie aus Unkenntnis gar nicht wissen, wovon sie sprechen. Die wahren Zusammenhänge sind ihrem verdunkelten Geiste nicht erkennbar. Jene, die mit so viel Zungenfertigkeit über die „Entwicklung okkulter Kräfte" reden, können als wahre zuverlässige Führer gar nicht in Frage kommen, denn bevor sie selbst in diesen geheimnisvollen Regionen des Lebens nur kriechen können, fühlen sie sich dazu berufen, die anderen Menschen das Laufen und Springen zu lehren. Was die meisten Menschen anscheinend wirklich meinen, wenn sie von der „Entwicklung okkulter Kräfte" reden, ist der Wunsch, „über andere Leute Macht zu erringen". Solche Perso­nen sind völlig ungeeignet zur Handhabung „okkulter Kräfte", denn ihr Beweggrund ist in den meisten Fällen rein selbstischer Natur, und ihr Sinn ist durch Unwissenheit verdunkelt und irregeleitet.
 
Die sogenannten psychischen Kräfte stehen zu den echten spiri­tuellen Kräften in demselben Verhältnis, wie das Lallen eines Kindes zur Rede eines weisen Philosophen. Ehe „okkulte Kräfte" irgendwel­cher Art ohne Gefahr entwickelt werden können, muß der Mensch zuerst die erste Lehre des mystischen Wissens lernen, nämlich sich selbst zu beherrschen; und alle Kräfte, welche er später erwirbt, müs­sen auf den Altar der unpersönlichen Dienstleistung niedergelegt wer­den — auf den Altar des Dienstes an der Menschheit.
 
Psychische Kräfte werden im Menschen auf Grund der natürlichen Entwicklung seiner inneren Fähigkeiten erwachen, in dem Maße, als die Evolution ihr wunderbares Werk in kommenden Zeitaltern weiter­führt. Neue Sinne und neue, diesen Sinnen entsprechende innere wie äußere Organe werden in der fernen Zukunft in Wirksamkeit treten. Doch ist es für die geistige wie für die leibliche Gesundheit ein ge­fahrvolles Unternehmen, die Entwicklung dieser Sinne vorzeitig künstlich zu beschleunigen, es sei denn, daß die Schulung und Übung unter dem wachsamen und mitleidsvollen Auge eines echten okkulten Lehrers vor sich gehe, der sich über das Wesen dieser Vorgänge im klaren ist. Schon heute gibt es auf der Welt Hunderttausende „sensiti­ver" Personen, welche die ersten schwachen Vorläufer dessen sind, was die Evolution dereinst zum Allgemeingut der menschlichen Ras­se werden lassen wird; doch diese heutigen Sensitiven sind gewöhn­lich in einer sehr unseligen und schwierigen Lage, denn sie selbst mißverstehen das, was in ihnen wirksam ist, wie sie auch von ihrer Umwelt nicht verstanden werden.
 
Aus: Dr. G. v. Purucker, Okkultes Wörterbuch
 


Autor: Dr. G. v. Purucker