Schillers
„Theosophie des Julius"
Vortrag von
Dr. Robert Roth
Fortsetzung
aus Heft 2/2000 und Schluß
Lassen Sie uns zum Abschnitt
LIEBE
übergehen.
Wenn Schiller eingangs bemerkt, die Höhe sei erstiegen, der Nebel sei gefallen,
ein reineres Sonnenlicht habe alle seine Begriffe geläutert, so läßt sich wohl
behaupten, daß diesem Begriff eine zentrale Bedeutung zukommt. Hören wir
wörtlich, wie Schiller „Liebe" definiert:
...das
schönste Phänomen in der beseelten Schöpfung, der mächtigste Magnet in der
Geisterwelt, die Quelle der Andacht und der erhabensten Tugend.
Der Dichter
stellt gegenüber: hassen, das bedeutet, daß ich mir etwas nehme; lieben, das
bedeutet, daß ich um das reicher werde, was ich liebe. Verzeihung ist
Wiederfinden eines veräußerten Eigentums; Menschenhaß bezeichnet er als
verlängerten Selbstmord, Egoismus als höchste Armut eines erschaffenen Wesens.
Um das eben
Gesagte zu unterstreichen, läßt Schiller fünf Strophen seines Gedichtes „Die
Freundschaft" folgen, von denen wir eine zitieren wollen:
Glücklich! Glücklich! Dich hab ich gefunden,Hab aus Millionen dich umwunden,Und aus Millionen mein bist du.Laß das wilde Chaos wiederkehren,Durch einander die Atome stören,Ewig fliehn sich unsre Herzen zu.
Der Mensch,
der alle Schönheit, Größe, Vortrefflichkeit im Kleinen und Großen der Natur
auflesen und dazu die große Einheit finden kann, sei der Gottheit schon sehr
viel näher gerückt.
Dann wirft
Schiller einen Blick auf die Philosophie seiner Zeit -den französischen
Materialismus - und rechnet mit ihm ab. Sie widerspreche dieser Lehre und habe
den himmlischen Trieb aus der menschlichen Seele „hinweggespottet", wie er
sich ausdrückt. Sie hätte sich mit dem Eigennutz abgefunden, aus einem
dürftigen Egoismus ihre trostlose Lehre gesponnen und ihre eigene Beschränkung
zum Maßstab des Schöpfers gemacht. Übrigens geht der Dichter nur an dieser
Stelle auf andere philosophische Systeme ein. Mit der eindeutigen Bekenntnis,
daß er an die Wirklichkeit einer uneigennützigen Liebe glaube, und dem Satz: Ein
Geist, der sich allein liebt, ist ein schwimmendes Atom im unermeßlichen leeren
Raume, schließt dieser bedeutungsvolle Absatz.
Die geradezu
hymnischen Worte voll schwärmerischer Begeisterung, die Schiller hier für die
Liebe findet, lassen sofort an die schon erwähnte Ode „An die Freude"
denken. Hier hat er sein dichterisches Zeugnis abgelegt für die vorher
erörterten philosophischen Gedanken.
Schon die
erste Begegnung mit Körner in Leipzig hatte den Funken für diese unsterblichen
Verse gezündet. Vom künstlerischen Wert des Gedichts hat Schiller selbst später
keine allzu hohe Meinung mehr gehabt, was sicher mit seiner eigenen Entwicklung
zusammenhängt. Wir wollen am Schluß noch einmal darauf zurückkommen. Hier seien
zwei Strophen zitiert, die eindeutig den Zusammenhang mit dem vorhergehenden
Abschnitt aufzeigen:
Wem der große Wurf gelungen,Eines Freundes Freund zu sein,Wer ein holdes Weib errungen,Mische seinen Jubel ein!Ja - wer auch nur Eine SeeleSein nennt auf dem Erdenrund!Und wer 's nie gekonnt, der stehleWeinend sich aus diesem Bund.Chor: Was den großen Ring bewohnet,Huldige der Sympathie!Zu den Sternen leitet sie,Wo der Unbekannte thronet.
Der nächste Abschnitt heißt:
Aufopferung
Schiller
stellt Überlegungen bezüglich der uneigennützigen Liebe an. Es sei denkbar, daß
er seine eigene Glückseligkeit durch ein Opfer für fremde Glückseligkeit
bringt. Aber auch, wenn er das Leben opfere, fragt er sich. Er fühle es, daß er
für Raphaels Rettung sterben könne, aber, so fragt er weiter, ist dieses Opfer
eine Bereicherung meines Wesens, wenn das Dasein aufhört? Wenn man die
Unsterblichkeit voraussetzt, so wird dieser Widerspruch aufgehoben, aber die
Rücksicht auf eine belohnende Zukunft schließt die Liebe aus. Es müsse eine
Tugend geben, die auch ohne Glauben an die Unsterblichkeit ausreicht, das
gleiche Opfer zu bringen.
In der
folgenden Erörterung stellt der Dichter zwei Begriffe gegenüber, die er kurz
vorher schon einmal erwähnt hat: Egoismus und Liebe. Sie scheiden die
Menschheit in zwei höchst unähnliche Geschlechter. Der Egoismus errichte seinen
Mittelpunkt in sich selbst, Liebe pflanze ihn außerhalb von sich in die Achse
des ewigen Ganzen. Weiter unterscheidet er, daß Liebe nach der Einheit ziele,
Egoismus sei Einsamkeit. Liebe sei die mitherrschende Bürgerin eines blühenden
Freistaats, Egoismus ein Despot in einer verwüsteten Schöpfung.
Der Bezug
dieses Abschnitts zu einem der großen Dramen des Dichters und eine der
Gestalten liegt nahe, wenn man daran denkt, womit er sich in dieser Zeit beschäftigt
hat. Es wurde schon erwähnt, daß er die Hauptarbeit dem „Don Carlos"
gewidmet hat. Natürlich wird sogleich die Figur des Marquis Posa für uns
lebendig.
Ihn, von
Schiller frei erfunden, kann man mit Fug und Recht als Verkörperung der
philosophischen Idee der Freundschaft bis zum Opfertod für dieselbe bezeichnen.
Im Drama selbst hinterläßt der Marquis einen zwiespältigen Eindruck, zumal die
von ihm gewählten Mittel, seine Ideen durchzusetzen, nicht immer sehr edel und
moralisch einwandfrei sind. Dies soll hier nicht näher erörtert werden; sicher
spielt auch die lange Entstehungszeit eine Rolle. Posa stellt jedenfalls in der
Freundschaft mit Carlos den geistigen Führer dar, der den Jüngeren leitet, ihn
lenkt und für seine Ideale begeistert.
Eine
ähnliche Position nimmt in den „Philosophischen Briefen" Raphael
gegenüber Julius ein, und im Leben des Dichters hat Körner die Posa-Rolle
gespielt. Obwohl später räumlich getrennt, was auch zu einer vorübergehenden
Störung des Freundschaftsverhältnisses führte, blieb der Freund ein
wesentlicher Partner für Schiller; das beweist nicht zuletzt der
aufschlußreiche Briefwechsel.
Lassen Sie
uns aber noch einmal auf das Verhältnis Posa-Carlos zurückkommen, wie es der
Dichter selbst in seinen „Briefen über Don Carlos" definiert hat:
Das
Schicksal schenkte ihm einen Freund - einen Freund in den entscheidenden Jahren
- einen geistreichen, gefühlvollen Jüngling, über dessen Bildung
selbst ein günstiger Stern
gewacht,
ungewöhnliche Glücksfälle sich ins Mittel geschlagen, und den irgendein
verborgener Weiser seines Jahrhunderts diesem schönen Geschäfte zugebildet hat.
Eine Geburt der Freundschaft also ist diese heitre menschliche Philosophie, die
der Prinz auf dem Throne in Ausübung bringen will. Sie kleidet sich in alle
Reize der Jugend..., sie ist seine erste Liebe...Unter beiden Freunden bildet sich
also ein enthusiastischer
Entwurf, den glücklichsten Zustand hervorzubringen, der der menschlichen
Gesellschaft erreichbar ist, und von diesem enthusiastischen Entwurfe, wie er
nämlich im Konflikt mit der Leidenschaft erscheint, handelt das gegenwärtige
Drama. (Aus dem 8.
Brief.)
Wie schon
erwähnt, erscheint Posa im Verlauf des Dramas nicht immer im Licht des idealistischen
Helden. Man hat manchmal das Gefühl, daß er Carlos „blind" leitet und ihn
zu einem Unmündigen macht. Auch sein Opfertod hinterläßt Zweifel in Bezug auf
die Motivation. Trotzdem wollten wir auf die deutlichen Parallelen zwischen den
philosophischen Gedanken und den dramatischen Vorgängen bzw. Figuren hinweisen.
Wir kommen
nun zum letzten Abschnitt der „Theosophie des Julius" Er trägt die
Überschrift
Gott
und beginnt
mit dem Satz: Alle Vollkommenheiten im Universum sind vereinigt in Gott. Schiller
erläutert, daß die ganze Summe von harmonischer
Tätigkeit in der göttlichen Substanz zusammen vorhanden ist, in der Natur, dem
Abbild dieser Substanz zu unzähligen Graden, Maßen und Stufen vereinzelt sei.
Der Dichter entwirft ein wunderbares Bild: Ein heller Lichtstreif spaltet sich
in einem prismatischen Glase in sieben dunklere Strahlen; so hat sich das
göttliche Ich in zahllose Substanzen gebrochen. Wörtlich: Wie sieben
dunklere Strahlen in einen hellen
Lichtstreif zusammenschmelzen, würde aus der Vereinigung aller dieser
Substanzen ein göttliches Wesen hervorgehen. Schiller führt das Bild weiter aus, indem er die Form
des Naturgebäudes mit dem optischen Glas vergleicht; alle Tätigkeiten des
Geistes seien nur ein unendliches Farbenspiel jenes einfachen göttlichen
Strahles. Würde die Allmacht einstmals dieses Prisma zerschlagen, so stürzte
der Damm zwischen ihr und der Welt ein, alle Akkorde würden in einer Harmonie
ineinanderfließen, alle Bäche in einem Ozean aufhören.
Anziehung
der Elemente ergab die körperliche Form der Natur; Anziehung der Geister, ins
Unendliche vervielfältigt und fortgesetzt, müßte zur Aufhebung der Trennung
führen oder Gott hervorbringen. Eine solche Anziehung ist die Liebe, heißt
es wörtlich. Und weiter hören wir den Dichter: Liebe ist die Leiter, worauf
wir emporklimmen zur Gottähnlichkeit. Damit sind wir wieder bei dem
Hauptbegriff der ganzen Schrift. Zur Verdeutlichung läßt der Dichter drei
Strophen aus seinem Gedicht „Die Freundschaft" folgen, die wir hier
zitieren wollen. Immerhin fand Hegel sie noch von großer Bedeutung. Sonst hätte
er sie nicht an den Schluß seiner „Phänomenologie des Geistes" gestellt.
Tote Gruppen sind wir, wenn wir hassen,Götter, wenn wir liebend uns umfassen,Lechzen nach dem süßen Fesselzwang.Aufwärts, durch die tausendfachen StufenZahlenloser Geister, die nicht schufen,waltet göttlich dieser Drang.Arm in Arme, höher stets und höher,Vom Barbaren bis zum griech'schen SeherDer sich an den letzten Seraph reiht,Wallen wir einmüt 'gen RingeltanzesBis sich dort im Meer des ew 'gen GlanzesSterbend untertauchen Maß und Zeit.Freundlos war der große Weltenmeister,Fühlte Mangel, darum schuf er Geister,Sel 'ge Spiegel seiner Seligkeit.Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches,Aus dem Kelch des ganzen WesenreichesSchäumt ihm die Unendlichkeit.
Der Dichter
zieht mit dem Bekenntnis zur Liebe eine Art Resümee, wenn er sagt, wir sollten
vertraut werden mit der hohen idealistischen Einheit, dann würden wir uns mit
Bruderliebe aneinander anschließen. Wörtlich ruft er uns zu: Laßt uns
Schönheit und Freude pflanzen, so ernten wir Schönheit und Freude. ,Seid
vollkommen, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist', sagt der Stifter unseres
Glaubens. Die schwache Menschheit erblaßte bei diesem Gebote, darum erklärte er
sich deutlicher: ,Liebet Euch untereinander!'
Dies sei das
Glaubensbekenntnis seiner Vernunft, ein flüchtiger Umriß seiner unternommenen
Schöpfung. Möge Raphael, er spricht ihn hier unmittelbar an, spotten oder sich
freuen oder über seinen Schüler erröten, aber diese Philosophie habe sein Herz
geadelt und die Perspektive seines Lebens verschönert.
Was nun
folgt, erweist sich eindeutig als ein Anhang, als eine Art Postskriptum.
Inhaltlich und gedanklich haben die Erörterungen mit dem Abschnitt „Gott"
nichts mehr zu tun. Schiller bringt einen anderen Ton in die Darstellung. Es
spricht nun der Skeptiker aus ihm, doch scheint er gefestigt und die
„Zweifelsucht" - dies ein Terminus seiner Zeit - durch Erfahrung
überwunden.
Der Dichter
schließt keineswegs aus, daß er nur ein Traumbild entworfen habe. „Sollten
meine Ideen wohl schöner sein als die Ideen des ewigen Schöpfers?" fragt
er sich. Aber auch Fehlschlüsse und Täuschung können der Anerkennung des
höchsten Geistes nicht schaden, das sei eben
die Feuerprobe seiner großen Vollendung und der süßeste Triumph. Wieder bringt
Schiller zum Vergleich den Künstler, der in tausend Kopien anders dargestellt,
sich dennoch ähnlich bleibt. Wir hatten bereits auf die herausragende Rolle des
Künstlers in Schillers Weltanschauung hingewiesen.
Im Folgenden
bringt der Dichter einen bis dahin noch nicht bekannten Gedanken in seine
Ausführungen, indem er erklärt, daß seine Darstellung verfehlt oder falsch sein
könne, ja er sei überzeugt, daß sie es sei. Trotzdem könnten alle Resultate daraus
eintreffen. Unser ganzes Wissen läuft endlich, wie alle Weltweisen
übereinkommen, auf eine konventionelle Täuschung hinaus, mit welcher jedoch die
strengste Wahrheit bestehen kann. Unsere reinsten Begriffe sind keineswegs
Bilder der Dinge, sondern bloß ihre notwendig bestimmten und koexistierenden
Zeichen. Weder Gott noch die menschliche Seele sind das wirklich, was wir davon halten.
Unsere Gedanken von diesen Dingen sind nur die endemischen (begrenzten) Formen,
worin sie uns der Planet überliefert, den wir bewohnen. So wörtlich diese wichtige Stelle.
Weiter führt
Schiller aus, daß die menschliche Natur ihre eigenen Schranken hat, jedes
Individuum seine eigenen. Er (Julius) bekennt, daß er ein Fremdling sei in
Kenntnissen, die man in Untersuchungen dieser Art als unentbehrlich
voraussetzt. Er habe keine philosophische Schule gehört und wenig gedruckte
Schriften gelesen. Es möge sein, daß er hie und da seine Phantasien strengeren
Vernunftschlüssen unterschiebe, daß er Wallungen seines Blutes, Ahnungen und
Bedürfnisse seines Herzens für nüchterne Weisheit verkaufe. Doch es sei
wirklicher Gewinn für die allgemeine Vollkommenheit. Nicht der mechanische
Künstler nur, der den rohen Demanten zum Brillanten schleift - auch der andere
ist schätzbar, der gemeinere Steine bis zur scheinbaren Würde des Demants
veredelt, verdeutlicht der Dichter seine „Unzulänglichkeit" durch
dieses Bild. Jede Übung der Denkkraft, jede feine Schärfe des Geistes sei eine
kleine Stufe zu seiner Vollkommenheit. Jede Fertigkeit der Vernunft, auch im
Irrtum, vermehrt ihre Fertigkeit zur Empfängnis der Wahrheit, so verkündet
uns Schiller gegen Ende dieser Nachschrift.
Welche
Bedeutung hat die „Theosophie des Julius" für uns heute?
Zunächst sei
festgestellt, daß sie nur einen Teil, aber sicher das Kernstück, eines
geplanten, jedoch unvollendet gebliebenen Romans in Briefen darstellt.
Wahrscheinlich waren Goethes „Leiden des jungen Werthers" das Vorbild. Am
Anfang des Fragments steht „Vorerinnerung". Daraus seien einige Sätze
zitiert, weil sie uns weiterhelfen können: Skeptizismus und Freidenkerei
sind Fieberparoxysmen des menschlichen Geistes und müssen durch eben die
unnatürliche Erschütterung, die sie in gut organisierten Seelen verursachen,
zuletzt die Gesundheit befestigen helfen. Je blendender, je verführender der
Irrtum, desto mehr Triumph für die Wahrheit; je quälender der Zweifel, desto
größer die Aufforderung zu Überzeugung und fester Gewißheit. Aber diese
Zweifel, diese Irrtümer vorzutragen, war notwendig; die Kenntnis der Krankheit mußte
der Heilung vorangehen.
Eindeutig
spricht hieraus nicht nur der Dichter-Philosoph, sondern auch der Arzt
Schiller, der schon in der Karlsschule gelernt hatte, daß der Arzt Philosoph
und der Philosoph Arzt sein müsse. Gegen welche Krankheit - um im Bild zu
bleiben - diese Schrift als Therapie dienen sollte, haben wir bereits erwähnt,
ebenfalls, wie die Rollenverteilung geplant war und wie sie sich in der
Realität darstellt. Jedenfalls steht „Die Theosophie des Julius" als ein
beredtes Zeugnis, als Bekenntnis eines großen Dichters und Menschen vor uns,
der eine ideale Einstellung zu seinen Mitmenschen und zur Aufgabe des
menschlichen Daseins hatte. Diese sieht er in der Bestrebung zur
Vollkommenheit, er sucht ständig durch die Zusammensetzung zur Einheit zu
kommen, einem Weg zur Gottähnlichkeit, wobei durchaus der Gedanke der
Unsterblichkeit eine Rolle spielt. Auf der Strecke dorthin wird der Liebe eine
ganz wichtige Funktion zugewiesen. Sie versetzt den Menschen erst in den
rechten Zustand, mit ihr kann er Freude, kann er Glückseligkeit verbreiten und
selbst empfinden. Sie bereitet ihm die Bahn zur Vollkommenheit und damit zu
Gott.
Egoismus ist
die höchste Armut eines erschaffenen Wesens, Menschenhaß ein verlängerter
Selbstmord, sagt
Schiller. Ich meine, dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich habe
versucht, Ihnen diese philosophische Schrift des jungen Schiller
näherzubringen. Vielleicht haben Sie Gelegenheit, sie einmal nachzulesen; denn
ich nehme an, daß bisher nur wenige sie gekannt haben. In jeder größeren Ausgabe
von Schillers Werken ist sie unter den philosophischen und ästhetischen
Schriften zu finden. Vielleicht sollte ich noch bemerken, daß damit ein
gewisser Lebens- und Schaffensprozeß des Dichters abgeschlossen war. Auch der
„Don Carlos" bedeutete einen Übergang, was sich rein äußerlich dadurch
zeigt, daß er von der Prosafassung in das Versdrama übergeht.
In der
Beschäftigung mit der Philosophie ist es vor allem der tiefe Einschnitt der
Französischen Revolution, der Schiller zweifeln läßt, ob das Universum ein
Gedanke Gottes sei. Es folgt die intensive Begegnung mit der Philosophie Kants,
die mithilft, den Dichter zur Reife zu führen.
Für uns
bleibt die ideale Weltanschauung des Dichters, die sich in der „Theosophie des
Julius" ausdrückt, ein leuchtendes Vorbild, dem nachzueifern und das
anzustreben wäre; denn es sind die hohen Gedanken eines wirklichen Dichters,
der vor allem Mensch war. Sie sollen uns auch zum Ausklang begleiten, indem ich
zitiere:
Festen Mut in schweren Leiden,Hilfe, wo die Unschuld weint,Ewigkeit geschwornen Eiden, Wahrheit gegen Freund und Feind,Männerstolz vor Königsthronen -Brüder gelt es Gut und Blut -Dem Verdienste seine Kronen,Untergang der Lügenbrut.
Aus der „Ode
an die Freude"
Autor: Dr. Robert Roth