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I.

Eine große Frage - eine berechtigte Frage vielleicht nie gekannter Aktualität - angesichts der offenbaren Fehlentwicklungen gigantischen Ausmaßes, mit denen es die lebendigen und daher fühlenden Wesen dieser Welt zu tun haben. Umweltverschmutzung und damit einhergehende Umweltzerstörung, vor allem aber die augenfällige Innenweltverschmutzung bis hin zur Innenweltzerstörung des Menschen, das Ganze nicht punktuell hier und da, sondern in globalem Ausmaß machtwenig Mut, sich mit einer solchen Frage überhaupt zu beschäftigen. Die eine oder andere geistige Nische lässt sich wohl finden, in der man sich, sich einigermaßen sicher fühlend, einrichten kann, aber tief drinnen weiß man wohl, dass das Abschmelzen der Eisschilde (Antarktis, Grönland) auch diese Nischen überfluten wird.
 
Ein paar simple Ausflüchte lassen sich finden, aber auch ein paar intellektuelle Ausflüchte und sogar Ausflüchte wirklich philosophischer Art, eine Beschäftigung mit diesem Thema, die ja leicht in Verzweiflung bis hin zur Selbstvernichtung, sprich Selbstmord, enden kann, doch lieber zu unterlassen. Die Trivialpsychologie unseres Zeitalters kennt den Begriff der self fullfilling prophecy und - darauf aufbauend - den Begriff des Zweckoptimismus, in Köln zu dem Ausspruch verkürzt „Et is noch immer jut jejangen". Viele leben nach dieser Devise, und wie es aussieht, kommen sie ganz gutzurecht damit - aber es scheint immer schwerer zu gehen, schaut man sich die manchmal bis zur Verzerrtheit angespannten Gesichter insbesondere von Großstadtmenschen in den Straßen an. Aber auch dafür gibt es wieder intellektuelle Lösungen, wie sie z. B. einer gefunden hat, wenn er sagt: „Wirkliche Sorge um die Welt würde ich mir erstmachen, wenn die Leute angesichts der äußeren und inneren Weltlage auch noch mit fröhlichen Gesichtern einhergehen würden".
 
Eine intellektuell-philosophische Möglichkeit, um angesichts der Ausgangsfragestellung nicht alsbald zu verzweifeln, bietet eine Feststellung, deren Richtigkeit grundsätzlich nicht zu bestreiten ist: Wir sehen nie das Ganze und unterliegen, sofern wir das, was wir sehen und uns bewusst machen, für das Ganze nehmen, immer einer Täuschung. Außerdem: Wie groß das für uns Unsichtbare ist, welches Gewicht es für das Ganze hat, können wir nicht annähernd beurteilen.
 
Und dabei kommt hinzu, dass sich als Wahrzunehmendes das Böse immer in den Vordergrund drängt - bad news are good news. Auch gehören die Anfangserfolge im Kampf zwischen Gut und Böse immer dem Bösen, weil es seiner Natur nach aggressiv ist. Es hat diese Erfolge bereits eingefahren, bevor das Gute überhaupt gemerkt hat, dass es kämpfen muss und dass der Kampf schon begonnen hat.
Auf das Unsichtbare, dessen Größe, Kraft und Gewicht wir ja auch nicht kennen, können wir immer hoffen. Bei Juristen gibt es, wenn es um die Entscheidung für eine von verschiedenen Rechtsauffassungen geht, ein geflügeltes Wort, das lautet: Schließen wir uns der herrschenden Meinung an, dann sprechen Gründe für uns, die wir gar nicht kennen!
 
Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man daher, was bei genauer Betrachtung jedoch kein Trost ist, denn auch sie stirbt dieser Auffassung nach letztlich - oder nicht? Vielleicht endet sie nur, weil sie durch Wissen um Gelingen abgelöst wird?
 

II.

Artur Schopenhauer, einer unserer klassisch gewordenen Philosophen, hat sich selbst als Pessimisten bezeichnet und daraus noch etwas philosophischen Glorienschein abgeleitet, indem er sagte, gerade dadurch, dies zuzugeben, unterscheide er sich von den meisten seiner Berufskollegen, denen es über alles gehe, möglichst viele Anhänger und Zuhörer zu finden, was natürlich leichter sei, wenn man ihnen positive Antworten auf die letzten Lebensfragen gebe. Er dagegen erliege dieser Versuchung nicht.
 

III.

In unserem deutschen Menschheitsdrama, Goethes Faust, befasst sich Mephistopheles mit unserer Ausgangsfrage und behandelt diese im „Prolog im Himmel" gegenüber Gott, dem Herrn, mit folgenden Worten:
 
„Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst:
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,
Hättest du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen.
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd' er leben,
Hättest du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt's Vernunft und braucht's allein Nur tierischer als jedes Tier zu sein."2
Und etwas später äußert sich Mephisto in seinem ersten Gespräch mit Faust zu unserem Problem so:
 
Mephistopheles: [Ich bin] ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Faust: Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?
Mephistopheles:Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht: denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär's, dass nichts entstünde.3
In diesem letzten Satz wird von Mephisto nicht mehr und nicht weniger als die tragische Natur allen Schöpfungsgeschehens behauptet. Der einzige Trost, der uns an dieser Stelle bleibt, ist, dass es sich um die Meinung eben des Mephistopheles handelt und dieser, so hoffen wir, doch nicht das letzte Wort in dieser Sache haben wird, und er sagt ja selbst von sich, dass er das Böse zwar wolle, aber letztlich Gutes bewirke.
 
Recht hat er ja zunächst mit seiner Tatsachenfeststellung, dass alle Werke - ob von Gott geschaffen oder vom Menschen - sich schließlich wieder auflösen, keinen immerwährenden Bestand haben. Falsch könnte Mephisto mit seiner Insinuation (Unterstellung) liegen, die Begründung für diesen Niedergang, dieses Zugrundegehen, sei, dass das zuvor im Schöpfungsvorgang Entstandene wertlos sei. Das kann vordergründig Geltung nur beanspruchen, solange man Sinn und Wert der Schöpfung nur nach ihrem Ergebnis bemisst und nicht im Schöpfungsvorgang selbst sucht. Wäre ersteres der Fall, so würde ein einmal vollendeter Schöpfungsprozess mit hochgelobtem Endergebnis jeder weiteren lebendigen Entwicklung entgegenstehen.
 
Es zeigt sich hier die Fragwürdigkeit der von Natur- und Umweltschützern immer wiedererhobenen Forderung, man müsse „die Schöpfung bewahren".
 
Bo Yin Ra4 formuliert in der Tat in seiner Schrift Das Buch vom Glück, für Mensch und Gott liege das Glück vermutlich darin, schöpferisch sein zu dürfen und nicht im Schöpfungswerk selbst. Lasst uns weiter darüber nachdenken.
 
In ganz anderer, eben hochpoetischer Weise wird unser Thema von Antoine de Saint-Exupery in seinem Märchen Der kleine Prinz abgehandelt und zwar in einem Dialog zwischen dem Protagonisten der Geschichte, dem mit seinem Flugzeug in der Wüste Abgestürzten, d. h. hier dem in seinem äußeren Leben gescheiterten und in eine tiefe Krise gestürzten Helden, und eben dem kleinen Prinzen, wir dürfen wohl sagen, seinem Höheren Selbst. Äußerer Rahmen dieses Dialoges ist der Folgende:
 
Von dem kleinen Prinzen wissen wir schon an dieser Stelle des Märchens unter anderem, dass er über zwei innere Schätze verfügt, nämlich einmal über ein in einer Kiste verborgenes Schaf, das unser Pilot ihm gezeichnet hatte. Den anderen inneren Schatz lernen wir erst später in der Geschichte genauer kennen. Hier ergibt er sich aber schon aus der Fragestellung des kleinen Prinzen. Es handelt sich um eine Blume, die auf dem Planeten wächst, von dem er kommt, von seiner ersten großen und bis dahin einzigen Liebe, die er verlassen musste. Die Frage nach dem zukünftigen Verhältnis dieser beiden inneren Schätze des kleinen Prinzen führt uns zu einem der Höhepunkte der Geschichte:
Am fünften Tag war es wiederdas Schaf, das ein Lebensgeheimnis des kleinen Prinzen enthüllen half.
 
Er fragte mich unvermittelt, ohne Umschweife, als pflückte er die Frucht eines in langem Schweigen gereiften Problems:
 
„Wenn ein Schaf Sträucher frisst, so frisst es doch auch die Blumen?" „Ein Schaf frisst alles, was ihm vors Maul kommt." „Auch die Blumen, die Dornen haben?" „Ja. Auch die Blumen, die Dornen haben." „Wozu haben sie dann Dornen?"
 
Ich wusste es nicht. Ich war gerade mit dem Versuch beschäftigt, einen zu streng angezogenen Bolzen meines Motors abzuschrauben.
Ich war in großer Sorge, da mir meine Panne sehr bedenklich zu erscheinen begann, und ich machte mich aufs Schlimmste gefasst, weil das Trinkwasser zur Neige ging.
„Was für einen Zweck haben die Dornen?"
Der kleine Prinz verzichtete niemals auf eine Frage, wenn er sie einmal gestellt hatte. Ich war völlig mit meinem Bolzen beschäftigt und antwortete aufs Geratewohl:
„Die Dornen, die haben gar keinen Zweck, die Blumen lassen sie aus reiner Bosheit wachsen!"
„Oh!"
Er schwieg. Aber dann warf er mir in einer Art Verärgerung zu:
„Das glaube ich dir nicht! Die Blumen sind schwach. Sie sind arglos. Sie schützen sich, wie siekönnen. Sie bilden sich ein, dass sie mit Hilfe der Dornen gefährlich wären..."
Ich antwortete nichts und sagte mir im selben Augenblick: Wenn dieser Bolzen noch lange bockt, werde ich ihn mit einem Hammerschlag heraushauen müssen.
Der kleine Prinz störte meine Überlegungen von neuem: „Und du glaubst, dass die Blumen."
„Aber nein! Aber nein! Ichglaube nichts! Ich habe irgend etwas dahergeredet. Wie du siehst, beschäftige ich mich mit wichtigeren Dingen!"
Er schaute mich verdutzt an.
„Mit wichtigeren Dingen!"
Er sah mich an, wie ich mich mit dem Hammer in der Hand und vom Schmieröl verschmutzten Händen übereinen Gegenstand beugte, der ihm ausgesprochen hässlich erscheinen musste.
„Du sprichst ja wie die großen Leute!"
Das beschämte mich. Er fügte aber unbarmherzig hinzu:
„Du verwechselst alles, du bringst alles durcheinander!"
Er war wirklich sehr aufgebracht. Er schüttelte sein goldenes Haar im
Wind.
„Ich kenne einen Planeten, auf dem ein puterroter Herr haust. Er hat nie den Duft einer Blume geatmet. Er hat nie einen Stern angeschaut. Er hat nie jemanden geliebt. Er hat nie etwas anderes als Additionen gemacht. Und den ganzen Tag wiederholter wie du: Ich bin ein ernsthafter Mann! Ich bin ein ernsthafter Mann! Und das macht ihn ganz geschwollen vor Hochmut. Aber das ist kein Mensch, das ist ein Schwamm."
„Ein was?"
„Ein Schwamm!"
Der kleine Prinz war jetzt ganz blass vor Zorn.
„Es sind nun Millionen Jahre, dass die Blumen Dornen hervorbringen. Es sind Millionen Jahre, dass die Schafe trotzdem die Blumen fressen. Und du findest es unwichtig, wenn man wissen möchte, warum sie sich so viel Mühe geben, Dornenhervorzubringen, die zu nichts Zweck haben? Dieser Kampf der Schafe mit den Blumen soll unwichtig sein? Weniger ernsthaft als die Additionen eines dicken, roten Mannes? Und wenn ich eine Blume kenne, die es in der ganzen Welt nur ein einziges Mal gibt, nirgends anders als auf meinem kleinen Planeten, und wenn ein kleines Schaf, ohne zu wissen, was es tut, diese Blume eines Morgens so mit einem einzigen Biss auslöschen kann - das soll nicht wichtig sein?"
 
Er wurde rot vor Erregung und fuhr fort:
„Wenn einer eine Blume liebt, die es nur ein einziges Mal gibt auf allen Millionen und MillionenSternen, dann genügt es ihm völlig, dass er zu ihnen hinaufschaut, um glücklich zu sein. Er sagt sich: Meine
Blume ist da oben, irgendwo .Wenn aber das Schaf die Blume frisst, so ist es für ihn, als wären plötzlich alle Sterne ausgelöscht! Und das soll nicht wichtig sein?!"
Er konnte nichts mehr sagen. Er brach plötzlich in Schluchzen aus. Die Nacht war hereingebrochen. Ich hatte mein Werkzeug weggelegt. Mein Hammer, mein Bolzen, der Durst und der Tod, alles war mir gleichgültig. Es galt auf einem Stern, einem Planeten, auf dem meinigen, hier auf der Erde, einen kleinen Prinzen zu trösten! Ich nahm ihn in die Arme. Ich wiegte ihn. Ich flüsterte ihm zu: „Die Blume, die du liebst, ist nicht in Gefahr... Ich werde ihm einen Maulkorb zeichnen, deinem Schaf. Ich werde dir einen Zaun für deine Blume zeichnen. Ich."
Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Ich kam mir sehr ungeschickt vor. Ich wusste nicht, wie ich zu ihm gelangen, wo ich ihn erreichen konnte... Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen.5
 
Und am Ende des Märchens sagt der Autor:
 
[...] Jetzt habe ich mich ein bisschen getröstet. Das heißt... nicht ganz. Aber ich weiß gut, er ist auf seinen Planeten zurückgekehrt, denn bei Tagesanbruch habe ichseinen Körper nicht wiedergefunden. Es war kein so schwerer Körper...Und ich liebe es, des Nachts den Sternen zuzuhören. Sie sind wiefünfhundert Millionen Glöckchen...
Aber nun geschieht etwas Außergewöhnliches.
Ich habe vergessen, an den Maulkorb, den ich für den kleinen Prinzen gezeichnet habe, einen Lederriemen zu machen! Es wird ihm nie gelungen sein, ihn dem Schafanzulegen. So frage ich mich: Was hat sich auf dem Planeten wohlereignet? Vielleicht hat das Schaf doch die Blume gefressen.
Das eine Mal sage ich mir: Bestimmt nicht! Der kleine Prinz deckt seine Blume jede Nacht mit seinem Glassturz zu und er gibt auf sein Schaf gut acht. Dann bin ichglücklich. Und alle Sterne lachen leise.
Dann wieder sage ich mir: Man ist das eine oder andere Mal zerstreut, und das genügt! Er hat eines Abends die Glasglocke vergessen, oder das Schaf ist eines Nachts lautlos entwichen. Dann verwandeln sich die Schellen alle in Tränen!...
Das ist ein sehr großes Geheimnis. Für euch, die ihr den kleinen Prinzen auch liebt, wie für mich, kann nichts auf der Welt unberührt bleiben, wenn irgendwo, man weiß nicht wo, ein Schaf, das wir nicht kennen, eine Rose vielleichtgefressen hat oder vielleicht nicht gefressen hat.
Schaut den Himmel an. Fragt euch: Hat das Schaf die Blume gefressen oder nicht? Ja oder nein? Und ihr werdet sehen, wie sich alles verwandelt.
Aber keines von den großen Leuten wird jemals verstehen, dass das eine so große Bedeutung hat!6
Es ist kein Wunder, wenn uns dieser Text tief im Herzen berührt, geht es doch um das Grundproblem des Menschen- um Liebe und Sinn: Der kleine Prinz liebt seine dornenbewehrte Blume und er liebt auch sein Schaf - in der Symbolsprache Rose und Lamm -,beide trägt er in sich, will sie behalten und schützen, und was geschieht? Das Schaf frisst die Blume - ganz ohne zu wissen, was es tut- ratzfatz - das ist der Lauf der Welt und nicht wirklich leuchtender Sternenhimmel, sondern aschgrau und fahl - ohne Sinn - ohne Ziel, und hier der kleine Mensch, der zu ihm aufschaut und konstatieren muss, dass sich das oder der da oben nicht im mindesten interessiert für seine Ängste, seine Schmerzen, seine Tränen, wie auch Jaques Monod, der große Naturwissenschaftler, Philosoph und Skeptiker in dem Zitat, das ihn weltbekannt gemacht hat, die Sache und die Frage auf den Punktbrachte! „Er [der Mensch] weiß nun, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist undgleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen."7
Eine ähnliche Punktlandung in dieser Fragestellung macht Albert Einstein mit dem Satz: „Die wichtigste Frage, die ein Mensch stellen kann, lautet: Ist das Universum ein freundlicher Ort?" Wenn wir mit den Augen der Schulwissenschaft hinausschauen ins Universum, fällt es schwer, dies zu bejahen. Was, um Himmels willen, sucht ein Mensch, der sich mit seinem Körperidentifiziert, auf dem Mond?
Dies alles hat offenbar mit unserer Frage, unserem Thema zu tun, ob es gut ausgeht, was man Schöpfung nennt, oder alles in Wahnsinn (man beachte das Wort!),Zerstörung und Tod endet - Vorgänge, bei denen der Umstand, dass auch sie einmal enden, das einzig Positive ist, was man von ihnen sagenkann. Ganz so wie Mephisto es ausdrückt mit dem oben zitierten Vers, dass „alles was entsteht, wert ist, dass es zugrunde geht". Leben und Schöpfung als eine letztlich absurde Veranstaltung? Fragen Sie Ihr Herz, welcher Antwort Sie zuneigen, und genießen Sie, wenn Sie können, die Antwort, die Antoine de Saint-Exupery uns gibt als Pilot in seiner Geschichte vom kleinen Prinzen: Er wiegt den kleinen Prinzen in seinen Armen - an seinem Herzen - sein Handeln vor allem ist die Antwort undweniger, was er denkt und sagt.
 
Wenn wir Glück haben, fällt die Antwort unseres Herzens ähnlich positiv aus, und die emotionale Kraft, die uns daraus zufließt, vermittelt uns zugleich eine Sicherheit- eine Evidenz -, dass es so ist, und sogleich die Aufforderung, mit dafür Sorge zu tragen, dass der unvermeidbare Kampf der unterschiedlichen Auffassungen mit einem Sieg des Guten, des Sinnes und der Liebe endet.
Wenden wir uns der Theosophie im engeren Sinne - auch das bisher Zitierte sind natürlich theosophische Texte im weiteren Sinne - zu, so fällt einem natürlich zuerst das Karmagesetz ein. Das für den materiellen sowie für den geistigen Bereich geltende Gesetz, dass jede Ursache eine bestimmte Wirkung hervorruft und diese dann in bestimmter Weise auf den Verursacher zurückwirkt und zwar so, dass die Harmonie des Ganzen nichtgefährdet, sondern, soweit gestört, wiederhergestellt wird. Je stärker die Störung, umso stärker die Rückwirkung auf den Störer bis hin zu dessen Vernichtung. Funktionieren die Dinge so, dann haben wir mit dem Karmagesetz zugleich die vom Weltschöpfer in den Schöpfungsprozess eingebaute Sicherung gegen ein Scheitern des Ganzen durch ein Versinken im Chaos vor uns. Für den einzigen möglichen Störer, den Menschen, stellt sich unsere Ausgangsfrage damit ganz anders, nämlich dahin, ober - bei dem notwendig gelingenden Ganzen -als Mitschöpfer und Teilnehmer an der Verwirklichung des göttlichen Willens, ausgedrückt im Karmagesetz, seinerseits dabei ist oder aber -bei halsstarrigem Verharren in der Störerposition bis zu dessen schwarzmagischer Steigerung hin zu lebensfeindlicher Böswilligkeit, selbst seiner Vernichtung entgegengeht.
 
Haben wir dies erkannt, so bekommt die Ausgangsfrage einen ganz neuen Akzent:
Ob das Ganze gut geht oder nicht, diese Frage soll und muss der Mensch getrost dem Veranstalter des Ganzen überlassen. Die für ihn allein relevante, dabei aber gleichwohl existentiell wichtige Frage ist die, ob er erfolgreich ist oder scheitert. Ob er im Hinblick auf sein Schicksal Grund hat, optimistisch zu sein oder eher nicht! Sich mit dieser Frage zu beschäftigen, hat er ein Leben lang Zeit und danach noch viele weitere Leben, und alle diese Leben sind angefüllt mit Hinweisen für ihn, ob die Richtung, in die er marschiert, so im Großen und Ganzen stimmt oder eher nicht! Ein Helfer auf diesem beschwerlichen Wege steht ihm zur Seite: Sein höheres Selbst und dessen wichtigste Funktion – sein Gewissen! Aus der Geschichte der Menschheit wissen wir, wie viele an diesen Maßstäben gescheitert sind - aber zugleich auch wissen wir um diejenigen, die ihr Ziel, das Ziel eines jeden Menschen, erreicht haben, die Heiligen, die Erleuchteten, die Meister, wie wir sie nennen wollen, die anerkannt vom Göttlichen - „dies ist mein lieber Sohn" -das ihnen in der göttlichen Welt zugedachte Erbe angetreten haben. Niemand sollte die Torheit begehen, dieses Erbe für ein Linsengericht zu verspielen.
All das, was wir bisher gesagt haben, spiegelt sich wider in dem weltbekannten und berühmten theosophischen Schlüsseltext, erneut abgedruckt im letzten Heft von Theosophie heute, erstmals wiedergegeben als Meisterwort in Die Lotoskönigin von Mabel Collins.
„Mein Bruder", sprach er, „höre mich.
Es gibt drei Wahrheiten, die ewig, unvergänglich sind und nie verloren gehen können, mag auch der Mangel richtigen Ausdrucks sie verborgen halten.
 
1. Des Menschen Seele ist unsterblich und ihre Zukunft ist die Zukunft eines Wesens, dessen Wachstum und Vollendung ohne Grenzen sind.
2. Die Urkraft, welche Leben gibt, wohnt in uns und außer uns. Sie ist unvergänglich und ewigsegenbringend; sie ist unsichtbar, kann mit keinem der körperlichen Sinne wahrgenommen werden und wird dennoch von jedem erkannt, der Erkenntnis sucht.
3. Ein jeder Mensch gibt sich sein eigenes, unverbrüchliches Gesetz. Er selbst bestimmt sein Los -Glück oder Elend -, ist selbst der Richter seines Lebens, gibt sich selbst die Belohnung oder Strafe.
 
Diese Lehren, welche groß sind wie das Leben selbst, sind schlicht und einfach wie der schlichteste Verstand des Menschen. Gib sie dem Hungrigen zur Nahrung."8
 
Und Franz Hartmann schreibt über die Frage, welcher Zukunft wir entgegengehen:
„Wenn die Voraussagen der großen Erleuchteten aller Zeiten Vorausgesichte der Wirklichkeit sind, stehen wir Heutigen im Aufgang einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte und am Vorabend großer Ereignisse.
 
Das dunkle Zeitalter geht seinem Ende entgegen. Der Übergang zum neuen lichteren Äon ist mit unvorstellbaren politischen, wirtschaftlichen und religiösen Umwälzungen verbunden und, da Lebenswelt und Natur eins sind, auch mit äußeren, geologischen Wandlungen...
In den uralten Voraussagensind die sozialen Missverhältnisse unserer Übergangszeitunmissverständlich beschrieben: die Zeichen der Abnahme der Rechtschaffenheit unter den Menschen, die Zunahme der gegenseitigen Übervorteilung, die unerträgliche Last der Steuern durch den zum Selbstzweck gewordenen Staatsapparat, das Anwachsen der Lieblosigkeit und der globalen kriegerischen Auseinandersetzungen wie der Tyrannei, die unzählige Menschen heimatlos macht und zur Auswanderung treibt, die Nichtachtung der Heiligkeit der Ehe und der all diesen Übeln folgende Untergang der alten Welt.
 
Diese Voraussagen beruhen teils auf dem Wissen der Alten um kosmische Gesetzmäßigkeiten undrhythmische Abläufe, teils waren sie Frucht innerer Zukunftsschau. Alles in der Welt verläuft nach bestimmen Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen und vollzieht sich in großen und kleinen Zyklen und Rhythmen- einerlei, ob es sich um das Leben einer Eintagsfliege, eines Menschen, eines Volkes, der Menschheit, der Erde, eines Sonnensystems oder des Universums handelt.
Eine ähnliche Wendezeit, die einem Weltuntergang im Kleinen gleichkam, fand zur Zeit der Geburt des Christentums statt, obwohl die römischen Diktatoren alles unternahmen, um sie aufzuhalten und dem Werden des neuen zu wehren.
 
Gleiches steht uns heutigen bevor, und zum Teil erleben wir die immer stürmischer werdenden Wandlungen bereits. Was die Welt braucht, um diesen Übergang vom Alten zu etwas völlig Neuem zu meistern, sind nicht neue Systeme, neue politische oder religiöse Einrichtungen und Vereinbarungen, sondern der Glaube an das Gute und Wahre und das Festhalten daran durch rechtes Tun, weiter der Geist der Selbst-Erkenntnis und der Liebe, ohne die keine Meisterung der Welt und des Lebens möglich ist.
 
Dieses Erwachen mitten in der Unruhe der Zeit zu einem höheren lichteren Sein tritt ein, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind. Erfüllen aber muss sie der Einzelne in sich selber.
Die jetzt vergehende Welt ist mit sich überstürzenden politischen, pseudowissenschaftlichen, sozialen und religiösen Theorien, Dogmen und Versuchen erfüllt, die die Menschenzunehmend verunsichern und entzweien. Erst mit der neuen Ära tritt eine Welt der Ordnung und Harmonie, Einheit und Erleuchtung ins Dasein. Aus dem in immer mehr Herzen aufgehenden Licht der Erkenntnis wird eine neue Freiheit erblühen, und die Menschen werden ihre innere Einheit erkennen. Immer mehr Einzelne werden gewahr werden, dass sie keinen anderen benachteiligen, schädigen oder unterdrücken können, ohne dadurch sich selbst am meisten zu schaden. Die Flamme der Liebe wird die Kruste des persönlichen und kollektiven Egoismus zum Schmelzen bringen, der Ungeist des Ich Wahns wird dem Geist der Einheit und Freiheit weichen.
 
Das Licht der Wahrheit und der göttlichen Weisheit wird immer mehr Herzen erleuchten, und die Menschen werden den Geist der Gottheit nicht mehr an äußeren Orten, in steinernen Tempeln oder jenseits der Sterne suchen, sondern ihn in sich selber finden. Sie werden ihres göttlichen Ursprungs bewusster werden und den Himmel, den sie in sich entdecken, auch um sich herum zum Wohle aller Wesen zu verwirklichen streben."9
 
1 Niederschrift des gleichnamigen Vortrags während der Sommertagung 2008 der Theosophischen Gesellschaft i. D. (Auszug).
2 Johann Wolfgang von Goethe: Faust.Der Tragödie erster Teil. Vv. 271-286. [Im Folgenden zitiert als „Faust".]
3 Faust, Vv. 1335-1341.
4 Bo Yin Ra, eigentlich Joseph Anton Schneiderfranken, 1876-1943.
5 Antoine de Saint-Exupery: Der kleine Prinz. Mit freundlicher Genehmigung des Karl Rauch
Verlags, Düsseldorf 1950 und 2008, Kapitel VII.
6 Der kleine Prinz, a.a.O. Kapitel XXVII.
7Jaques Lucien Monod (1910-1976), Nobelpreisträger für Medizin. Zitat entnommen aus: Jaques Monod: Zufall und Notwendigkeit, München 1971, S. 211.
8 Vgl. Theosophie heute, Heft 1/2008, S. 1. 
9 Franz Hartmann: Was ist Theosophie?, hrsg. von K. O. Schmidt, Egolding 1990, S. 131ff.
 
 



Autor: Dr. Bernhard Prediger