Wachstum durch Wiedergeburt[1]
Charlotte Wegner
Die theosophische Perspektive der Reinkarnation
Viele Menschen im Westen betrachten Wiedergeburt (Reinkarnation) als ein „ewig drehendes Rad“, an das der Mensch schier endlos gekettet ist – eine unangenehme Vorstellung in der Tat, die man lieber beiseite lässt.
Ganz anders lautet die Perspektive der Reinkarntion,, die H. P. Blavatsky in ihrem Schlüssel zur Theosophie aufzeigt. Dort bezeichnet sie Reinkarnation als eine Lehre, die an
„Logik, Folgerichtigkeit, philosophischer Tiefgründigkeit, göttlicher Barmherzigkeit und Gerechtigkeit nicht ihresgleichen hat.
Sie ist der Glaube an einen immerwährenden Fortschritt für jedes inkarnierende Ego oder jede göttliche Seele in einer Evolution, die von außen nach innen, vom Materiellen zum Spirituellen führt und am Ende jeder Stufe absolute Einheit mit dem göttlichen Prinzip erreicht.
Sie führt von Stärke zu Stärke, von der Schönheit und Vollkommenheit einer Ebene zur größeren Schönheit und Vollkommenheit der nächsten.“[2]
Ein weiter Horizont wird hier sowohl dem Denker als auch dem sog. Lebenspraktiker eröffnet – im Grunde ein Muss für alle diejenigen, die nach Antwort auf die Grundfragen ihres Lebens suchen. Allerdings ist diese weite Perspektive nur voll zu verstehen im Lichte des theosophischen Menschenbildes, das den Blick freigibt auf die sieben Prinzipien des Menschen, wie sie im oben genannten Werk von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Weit über Darwins Evolutionslehre hinausgehend, die den Menschen nur als physisch-materielles Wesen konditioniert, wird hier die Dimension seelisch-geistiger Evolution eröffnet, die ohne Grenzen ist.
Obwohl bereits vor 120 Jahren geschrieben, ist der hier geäußerte Gedanke einer spirituellen Evolution durch Reinkarnation heutzutage – nicht zuletzt die infolge medizinischen Fortschritts immer zahlreicher auftretenden und im Kern übereinstimmenden Nahtod-Erfahrungen, die das Überleben des Todes bekunden –, aktueller denn je. Karmische Verknüpfungen einzelner Erdenleben bergen eine Antwort auf die Schicksalsfrage und bieten zudem einen Schlüssel für viele psychische Probleme des heutigen Menschen.
Voraussetzungen zum Verstehen der Reinkarnation
Grundlegend für das Verständnis von Evolution durch Reinkarnation ist die Unterscheidung zwischen höherer und niederer Natur des Menschen.
Das, was reinkarniert, ist nicht der physisch sichtbare, sterbliche Mensch, die irdische Persönlichkeit (lat. persona – Maske), sondern, um in den Worten Blavatskys zu sprechen, das
„spirituelle, denkende Ego, das bleibende Prinzip im Menschen,
der Sitz von Manas“.
Dieses ist in seinem höheren Aspekt der Spiegel, das Gefäß („Gral“) der beiden höchsten und universellen Prinzipen (Atma-Buddhi), in denen der Mensch gründet: göttlicher Wille und Weisheit/Liebe als seine Ausstrahlung.[3]
Das spirituelle Ego, auch Individualität genannt, überdauert demzufolge die einzelnen Erdenleben, es ist „bleibend“, abgesehen von der langsamen und allmählichen Entfaltung, die es im Zuge seiner Kette von Inkarnationen erfährt.
Der eigentliche wahre Mensch wird also in seiner Essenz in keiner Weise von dem, was wir Tod und Geburt nennen, berührt. Was geboren wird und stirbt, sind die, Gewänder, „Körper“ mit denen er sich während der Erdenaufenthalte immer wieder bekleidet, „Werkzeuge“, die es ihm ermöglichen, mit den stofflichen Welten in Kontakt zu treten, Erfahrungen zu sammeln und im Laufe ihrer zunehmenden Ausbildung und Verfeinerung sein wahres Wesen zu manifestieren, seine inneren latenten Kräfte, sein Potenzial in ihnen zum Ausdruck zu bringen.[4]
„Verzeichnis des Wachstums“ - der Kausalköper
Aus theosophischer Sicht ist der Mensch also eine unsterbliche Individualität, die eine sterbliche Persönlichkeit (das irdische Ich) besitzt, gewissermaßen in die stofflichen Welten projiziert, aber in seinem wahren Wesen nicht darin beschlossen ist. Gegenüber der landläufigen Meinung, die den Menschen nur als irdische Persönlichkeit definiert, haben wir hier eine deutliche Schwerpunktverlagerung
Dieser wahre unsterbliche Mensch, so wird uns von Wissenden gesagt, besitzt eine die stofflich-vergänglichen Hüllen überdauernde „Form“, die die Ursache (causa) für all seine zeitlichen Manifestationen ist (mental, emotional, vital und physisch) ist, daher auch Kausal- oder Ursachenkörper genannt. In diesem werden die Erfahrungs- und Tätigkeitsessenzen jeder Verkörperung gespeichert.
Er ist „das Gefäß … für alles Dauerhafte, und zwar das, was edel und harmonisch ist und im Einklang steht mit dem geistigen Gesetz. Jeder große und erhabene Gedanke, jedes reine und erhebende Gefühl wird emporgetragen und seine Substanz in den Kausalkörper eingearbeitet“, der sich dadurch entfaltet, an Größe und Strahlkraft zunimmt.
[1] Gekürzte Fassung eines Vortrags auf der Sommertagung 2009 der TGD in Calw.
[2] H. P. Blavatsky. Der Schlüssel zur Theosophie, Satteldorf 1995, Kap IX, S. 202.
[3] ebd. S. 162
[4] Vgl. Arthur E. Powell, Der Kausalkörper – die unsterbliche Individualität und ihre Lebensfelder, (aus dem Englischen übersetzt) Grafing 2003, S.102.
[5] Ebd. S.114
Autor: Carlotte Wegner