WEIHNACHTEN
Da kommst du nun, du altes
zahmes Fest,
und willst, an mein
einstiges Herz gepresst,
getröstet sein. Ich soll
dir sagen: du
bist immer noch die
Seligkeit von einst
und ich bin wieder dunkles
Kind und tu
die stillen Augen auf, in
die du scheinst.
Gewiss, gewiss. Doch
damals, da ichs war,
und du mich schön
erschrecktest, wenn die Türen
aufsprangen - und dein
wunderbar
nicht länger zu verhaltendes
Verführen
sich stürzte über mich wie
die Gefahr
reißender Freuden: damals
selbst, empfand
ich damals dich? Um jeden Gegenstand
nach dem ich griff, war
Schein von deinem Scheine,
doch plötzlich ward aus
ihm und meiner Hand
ein neues Ding, das bange,
fast gemeine
Ding, das besitzen heißt.
Und ich erschrak.
Und wie doch alles, eh ich
es berührte,
so rein und leicht in
meinem Anschaun lag.
Und wenn es auch zum
Eigentum verführte,
noch war es keins. Noch
haftete ihm nicht
mein Handeln an; mein
Missverstehn; mein Wollen
es solle etwas sein, was
es nicht war.
Noch war es klar
und klärte mein Gesicht.
Noch fiel es nicht, noch
kam es nicht ins Rollen,
noch war es nicht das
Ding, das widerspricht.
Da stand ich zögernd vor
dem wundervollen
Un-Eigentum …
Autor: Rainer Maria Rilke (1875-1926)