LIED DER LIEBE
Engelfreuden ahndend, wallenWir hinaus auf Gottes Flur,Dass von Jubel widerhallenHöhn und Tiefen der Natur.Heute soll kein Auge trübe,Sorge nicht hienieden sein,Jedes Wesen soll der LiebeFrei und froh, wie wir, sich weihn!Singt den Jubel, Schwestern, Brüder,Fest geschlungen, Hand in Hand!Hand in Hand das Lied der Lieder,Selig an der Liebe Band!Steigt hinauf am Rebenhügel,Blickt hinab ins Schattental!Überall der Liebe Flügel,Hold und herrlich überall!Liebe lehrt das Lüftchen kosenMit den Blumen auf der Au,Lockt zu jungen FrühlingsrosenAus der Wolke Morgentau,Liebe ziehet Well an WelleFreundlich murmelnd näher hin,Leiter aus der Kluft der QuelleSanft hinab ins Wiesengrün.Berge knüpft mit ehrner KetteLiebe an das Firmament,Donner ruft sie an die Stätte,Wo der Sand die Pflanze brennt.Um die hehre Sonne leitetSie die treuen Sterne her,Folgsam ihrem Winke gleitetJeder Strom ins weite Meer.Liebe wallt durch Ozeane,Durch der dürren Wüste Sand,Blutet an der Schlachtenfahne,Steigt hinab ins Totenland!Liebe trümmert Felsen nieder,Zaubert Paradiese hin,Schaffet Erd und Himmel wieder -Göttlich, wie im Anbeginn.Liebe schwingt den Seraphsflügel,Wo der Gott der Götter thront,Lohnt die Trän am Felsenhügel,Wann der Richter einst belohnt,Wann die Königsstühle trümmern,Hin ist jede Scheidewand,Biedre Herzen heller schimmern,Reiner, denn der Krone Tand.Lasst die Scheidestunde schlagen,Lasst des Würgers Flügel wehn!Brüder, drüben wird es tagen!Schwestern, dort ist Wiedersehn!Jauchzt dem heiligsten der Triebe,den der Gott der Götter gab,Brüder, Schwestern, jauchzt der Liebe,Sie besieget Zeit und Grab!
Autor: Friedrich Hölderlin (1770-1843)