Zum Zeitgeschehen

Kompromisse

sind unumgänglich, wo unterschied­lich gesinnte Menschen zur Zusam­menarbeit gezwungen sind — nur Einsiedler wie Robinson Crusoe sind ihnen (eine Zeitlang) enthoben; auch Tyrannen oder Despoten wähnen, über solchen Zwang erhaben zu sein. Sicher schmerzt es, Übereinkünfte treffen zu müssen mit Gegnern, denen man bis kurz vorher jegliche Befähigung zu sinnvoller (Zusam­men-) Arbeit abgesprochen hat, aber mit mehr oder weniger wahrnehm­barem Zähneknirschen steigt man in den gemeinsamen Kahn (die Koali­tion), um einem rettenden Ufer entge­gen zu rudern — weil man so eher Aussicht hat, seine eigenen Wege gehen zu können.
 
Die Bereitschaft zum Kompromiss ist natürlich um so größer, je größer die „Schnittmenge" der Handlungsziele unter den Koalitionären ist, d. h. je mehr strittige Punkte man ausklam­mern kann, ohne bei wesentlichen und drängenden Aufgaben untätig bleiben zu müssen (nämlich einen „faulen" Kompromiss zu schließen).
 
Aber nicht nur solche Übereinkünfte bringen Kompromisse in Verruf, son­dern vor allem Abmachungen, die den Namen Kompromiss gar nicht ver­dienen: Wenn z. B. ein Partner durch seine Übermacht den oder die anderen „über den Tisch zieht", oder wenn ein „Kuhhandel" abgeschlossen wird. Letzterer liegt vor, wenn das Nach­geben der Partner nicht in einem fairen Ausgleich der Interessen besteht, sondern Unvergleichbares „ver"han­delt wird (wie etwa beim Abschluss des „Reichskonkordates" die Konfes­sionsschule gegen die diplomatische Anerkennung des Dritten Reiches).
 
Je strikter eine Gesinnung, desto „kompromissloser" ihre Verfechter. Wer sich im Besitz unumstößlicher Wahrheit(en) glaubt, der ist bereit, mit wehender Fahne unterzugehen oder gar nach Kamikaze-Art zu sterben, wenn er nur möglichst viele Feinde seiner Überzeugung mit ins Verderben reißen kann. Aber seit wir, mit Hilfe von Raumkapseln, unseren blauen Planeten als einsames Juwel im schwarzen Weltraum sehen können, seit erdumspannende Messnetze uns die Verletzbarkeit des Raumschiffes Erde drastisch vor Augen führen, können eigentlich nur noch Apokalyptiker darauf aus sein, Kompromisse abzulehnen, zu hintertreiben oder zu sprengen.
 
Es gibt auf der Erde kein Paradies außer dem, das wir Menschen uns selbst erarbeiten: „Nur allein der Mensch vermag das Unmögliche. Er unterscheidet, wählet und richtet..." Der Weg dahin führt durch viele Kom­promisse, die immer umfassender werden können, je mehr Einsicht in Übergreifendes, Umgreifendes die Partner gewinnen und einander ver­mitteln. Ent-Täuschungen können da­bei nicht ausbleiben, dürfen nicht aus­bleiben, denn Wahrheit erkennt nur der, der Täuschungen in sich über­windet. Gegen Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens, aber die „un­bekannten höheren Wesen", denen der Mensch gleichen soll, an die zu „glauben" sein Beispiel uns lehre, können dauerhaft nur Einsichtigen helfen.
R. U.
 


Autor: Reiner Ullrich, stellv. Vorsitzender der Theosophischen Gesellschaft - TGD