Zum Zeitgeschehen
PISA
heißt eine Stadt in Italien, die wegen ihres „schiefen" Turmes berühmt ist. PISA ist aber auch die Abkürzung für „Programme for International Student Assessment". Dieses Programm enthält einen Leistungstest, dessen Ergebnis in Deutschland nicht den Schülern, sondern den Schulverwaltungen mehr noch als den Lehrern wehtat. Das Wahrzeichen der italienischen Stadt, das sich immer stärker und immer schneller geneigt hatte, konnte man „retten", d. h. ein wenig aufrichten und stabilisieren, mit großem technischen und finanziellen Aufwand. Das, was am Schulwesen in deutschen Landen „schief" lief (und läuft!), wird sich wohl so „schnell" und „leicht" nicht korrigieren lassen. Der „Gegenstand", mit dem es die Ingenieure in Italien zu tun hatten, ist ein kostbares Bauwerk, dem die „Schiefe" einen zusätzlichen Seltenheitswert verleiht, aber seine Substanz, aus „toter" Materie bestehend, gehorcht den Gesetzen der Physik und Chemie, so dass sich unvermeidbare Nebenwirkungen von Eingriffen abschätzen und einkalkulieren lassen. Schulverwaltungen dagegen haben es mit Menschen zu tun -mit heranwachsenden als „Objekten", mit pädagogischem Personal als ausführenden Organen. Letztere als „Ingenieure" zu betrachten hieße ihre Arbeit verkennen. Zwar gehorchen auch Kinder und Jugendliche wie alle Lebewesen den Gesetzen der Physik und Chemie, aber über diesen Schichten wölben sich Lebensbereiche, die weit mehr „Freiheitsgrade" aufweisen als die sogenannte „tote Materie". An der „Bändigung" der Freiheit arbeitet jeder Mensch im Ringen mit sich selbst; Despoten unterdrücken das Unabhängigkeitsstreben ihrer Mitmenschen, nehmen sich selbst allerdings vieles „heraus", weise Staatsmänner dagegen unterwerfen sich den Gesetzen, die für alle gelten. All das funktioniert, auch wenn in Paragraphen sauber kodifiziert, nicht wie eine Maschine! Erzieher jedoch sollen werdende Mitbürger ins Leben hineinführen, und dabei sind ungewollte „Nebenwirkungen" unvermeidbar. Sie beeinträchtigen pädagogisches Bemühen, ja machen es nicht selten ganz zunichte (vgl. E. Spranger, Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung, Heidelberg 1962).
Die PISA-Studie zeigt in dem Vergleich der Wissensvermittlungs-Erfolge nur eine Oberfläche - das Problem, das hinter schlechtem Abschneiden in Tests steht, ist umfassender und viel verwickelter als das, was eine Psychologie in den Blick bekommt, die alles auf Reiz-Reaktions-Schemata, auf Triebe und deren Befriedigung reduziert. Natürlich kennt jeder Mensch dergleichen Regungen, aber sind sie das, was das Leben lebenswert macht? Jeder reifende Mensch kommt an einen Punkt, wo er nach dem Sinn seines Daseins zu fragen beginnt und danach, was er zu dessen Erfüllung tun kann - und soll. Aber weil sich dieser Sinn nicht „wissenschaftlich" fassen lässt, weil in der Philosophie bestenfalls um ihn gerungen wird, weil Religion(en) ihn in mythischen Bildern mehr verhüllen als offenbaren (in vielem einander widersprechend und trotzdem ihre Deutung letzter Wahrheit als die allein richtige beanspruchend!), ist die Not groß. Nur wenige Psychologen (z. B. Viktor Frankl) haben in letzter Zeit gewagt, auch nur ihr Augenmerk auf diese Not zu richten.
Kann „die Theosophie" hier helfen -genauer: Können Menschen, die sich ihres Strebens auf das hohe Ziel „Theosophie" hin bewusst werden, etwas zur Linderung solcher Not beitragen? Etwa, indem sie ähnlich den Waldorf- oder Montessori-Schulen eigene Erziehungseinrichtungen gründeten (die zu bestehenden in Wettbewerb träten)? Dies sollte niemandem, der genügend Mittel und Mitarbeiter fände, verwehrt sein - wichtiger und dringlicher ist die Besinnung darüber, wo, wann und wie in Erziehung und Unterricht theosophische Impulse wirksam werden können. Aus der Fülle möglicher Überlegungen sei nur ein Gesichtspunkt hervorgehoben: Unter Erziehungswissenschaftlern pendeln die Annahmen darüber, ob der heranwachsende Mensch mehr von „außen" (der „Umwelt") oder von „innen" bestimmt ist, immer hin und her. Weil aber die „Innen"-Bestimmtheit nur als Abhängigkeit von Erbfaktoren (den „Genen") gesehen wird, können die Argumente ihrer Anhänger kaum überzeugen: haben doch „Hochgebildete" zuweilen schwachsinnige Kinder, und Genies entspringen nicht selten ganz unscheinbaren Elternhäusern. Wer jedoch die Wiederverkörperungs-Anschauung mit in Betracht zieht, kann sich „Innenbestimmtheit" sinnvoller ausmalen - „beweisen" könnte er natürlich im Einzelfalle nichts, denn Rückerinnerungen gelingen uns heutigen Durchschnittsmenschen (einem gütigen Geschick sei Dank!) nur äußerst selten, von Nachprüfbarkeit ganz zu schweigen!
Trotzdem kann jeder Erzieher, jeder Lehrer in seinem Tun und in seinem Beurteilen das mit in Erwägung ziehen, was sein Zögling, sein Schüler „mitgebracht" haben könnte aus früheren Verkörperungen; er kann versuchen, es sinnvoll einzufügen in das Ganze, das eine Persönlichkeit werden soll - „Persönlichkeit" als der Anzug, der dem sich wiederverkörpernden Ego einmal für ein paar Jahrzehnte „passen" soll. (Dazu braucht niemand „Reinkarnationslehre" zu unterrichten!).
Wichtiger als solche „Einzelfälle" ist, dass Erzieher und Lehrer selbst in dem Bewusstsein leben, nicht nur Glied in einer Kette zu sein, die sich „von Ewigkeit zu Ewigkeit" spannt, sondern vielmehr Zelle in einem Organismus, der als großes Ganzes das All durchwaltet. Dadurch verschwinden zwar keine Alltagsprobleme, aber der alltägliche „Kampf" bekommt einen anderen Sinn: Erzieher und Zöglinge stehen nicht mehr gegeneinander, sondern finden sich sozusagen neben- und miteinander auf den Bänken eines viel größeren Schulhauses, dessen Lernstoffe und Versetzungsregeln ein gütiges Geschick trotz oft gegenteiligem Anschein immer zum Wohle aller einzelnen und das groß
Autor: TGD